Ausstellung:Zarter Schmelz

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Die Graphische Sammlung in der Pinakothek der Moderne präsentiert "Wasserfarben", eine umfassende Werkschau des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson

Von Evelyn Vogel

Was am meisten in Erinnerung bleibt nach einem Besuch dieser Ausstellung von Olafur Eliasson in der Pinakothek der Moderne sind zwei Dinge: Der Stoff, der nicht mehr vorhanden ist, spielt eine ganz zentrale Rolle im Schaffen des dänischen Künstlers mit isländischen Wurzeln. Und: Die Schau taugt zwar nicht zu einem Blockbuster, aber wer Eliassons Großplastiken kennt und schätzt, wird erstmals begreifen, wie viele Wege er auf der Suche nach Materialität, Licht und Farbe ausprobiert und zu welch unterschiedlichen künstlerischen Ergebnissen er dabei gelangt. Das ist vermutlich auch das größte Verdienst, das die Graphische Sammlung mit dieser Ausstellung leisten konnte: Dass sie Olafur Eliassons Arbeitspraxis so facetten- und beziehungsreich zeigt.

Angekündigt war, den Meister der Großprojekte im öffentlichen Raum als Zeichner zu präsentieren. Man rechnete mit Skizzenblättern für die Skulpturen. Allerdings irritierte der Titel der Ausstellung, der einer neumodischen, aber abgegriffenen Wortspieltypografie folgend "WASSERfarben" lautet. Und Wasser wie auch Farbe kommen bei Eliasson vielfältig vor. Die Beschäftigung mit der Farbe führt zu hauchzarten monochromen Farbflächen mit gleichmäßig abnehmenden Verläufen wie in der großformatigen Serie "The Ocean fade" von 2016. Der Künstler bezeichnetet bei der Vorstellung der Ausstellung die Arbeit daran als "kontemplativ", weil die stark wässrige Farbe wie in Wellen auf dem Papier hin- und herbewegt wird und das in vielen Schichten über viele Tage hinweg.

Sie führt aber auch zu einer Arbeit wie dem gläsernen Buch, das wie ein kostbarer Foliant in einem klösterlichen Skriptorium aufgeschlagen präsentiert wird. Dessen verschiedenfarbige Seiten verfügen über verschiedene runde und ovale Ausschnitte, die diverse Schnittmengen bilden. Eine wunderbare handwerkliche Arbeit, die in einer Glashütte in Waldsassen in der Oberpfalz produziert wurde. Dazu gibt es eine Reihe von Skizzen - und hier lässt sich der Übergang von der Zeichnung zur Farbe bestens erkennen - die Anmutung der Ausschnitte im Glas in farbige Aquarellzeichnungen überführend. Jede dieser Zeichnungen ist für sich ein kleines Kunstwerk. In der Reihung und im Zusammenspiel mit dem gläsernen Buch eröffnet es einen Blick in die Denkwerkstatt Olafur Eliassons.

In vielen Räumen ergeben sich erst durch das Zusammenspiel von Zeichnungen und Modellen (klassischen wie auch 3D-gedruckten) die Zusammenhänge, weisen auf die Referenzen hin, greifen ineinander, denken die Techniken des Künstlers zusammen. Immer wieder untersucht er Phänomene in der Natur, die Nähe zur Wissenschaft ist evident. Ob seine Treppe in Form einer Doppelhelix auf der Schwanthalerhöhe oder sein "Wirbelwerk" im Atrium des Lenbachhauses, es finden sich viele optisch-physikalische oder andere naturwissenschaftliche Bezugspunkte. In einer Schatteninstallation hängen Modelle, die durch die Projektion zum Leben erweckt werden. Vitrinen voller Modelle schaffen einen Studienraum, in dem auch früheste Zeichnungen Eliassons zu sehen sind. Blätter, die in Zusammenarbeit mit seinem Vater entstanden.

Olafur Eliasson (Foto: Brigitte Lacombe)

Im Vitrinengang zum Auftakt ist eine Installation zu sehen, die auf eine Arbeit von 1991 zurückgeht: Die täglichen Titelseiten verschiedener internationaler wie deutscher Zeitungen (darunter auch der SZ) werden Tag für Tag ausgestellt. Eine Reverenz an die Zeiten, als vor den Pressehäusern noch die Zeitungsseiten in Schaukästen hingen und sich so die Weltlage abzeichnete und sich der öffentliche Raum mitunter politisierte. Gegenüberliegend zwei aus Algorithmen erzeugte geometrische Muster, die auf Spiegelglas aufgebracht sind. Wer davor steht, um sie zu betrachten, betrachtet zum einen sich selbst, zum anderen sieht er die Zeitungsseiten im Hintergrund. Eine konzeptuelle Arbeit, die dem Besucher klar macht, dass er die Welt immer irgendwie durch einen Filter sieht. Zugleich lässt Eliasson den Betrachter ganz ernsthaft Teil des Kunstwerks werden. Und das geschieht noch intensiver in einer Lichtinstallation, bei der jeder im Vorbeigehen das Kunstwerk erst schafft. Man könnte diese Arbeit auch als ironischen Kommentar zur Instagram-Generation mit ihrer Selfie-Sucht verstehen. Noch spielerischer sind die Zeichenmaschinen, an Hand derer Eliasson Zufall und Struktur thematisiert.

Einer der schönsten Räume ist der "Gletschereisraum", wie Sammlungsdirektor Michael Hering, ihn nennt. Hier steht das Wasser in Form von Eis neben der Farbe im Mittelpunkt. "Glacial landscape", eine Serie von Tondi, ist für die Graphische Sammlung entstanden. Der Protagonist war eine Kugel Gletschereis, die beim Schmelzen die Farbstrukturen formte. Die Bilder wirken wie zart eingefärbte Einzeller unterm Elektronenmikroskop. In der Mitte thront der mit Hilfe schmelzenden Gletschereises entstandene Betonblock "The presence of absence", dessen biomorphes Inneres in krassem Gegensatz zur strengen Außenform steht. Der Stoff, der hier nicht mehr vorhanden ist, wird aufgrund des Klimawandels vielleicht bald überhaupt nicht mehr vorhanden sein. Olafur Eliasson lässt dieses Thema nicht los, wie er beim Klimagipfel in Paris vor drei Jahren mit einer großen Installation deutlich machte.

Olafur Eliasson: Wasserfarben , bis 2. September, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20 Uhr, Staatliche Graphische Sammlung München in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40

© SZ vom 09.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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