Ausstellung:Welt wahrnehmen

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"Map, Mind, Memory": Eine Ausstellung in der Galerie der Künstler zeigt, dass Realität ein unsicheres Konstrukt ist, das von der Zuverlässigkeit unserer Sinne abhängt

Von Jürgen Moises

Wir erfahren die Welt oft selektiv, sowohl in der Wahrnehmung als auch in unserer Erinnerung. Unser Gehirn wählt bewusst oder unbewusst bestimmte Eindrücke und Phänomene aus und fügt diese zu Wahrnehmungs- oder Erinnerungsbildern zusammen. Diese müssen aber nicht unbedingt mit der Realität übereinstimmen. Ganz ähnlich verfährt Florence Bühr bei ihren Fotomontagen, die einen Hafen zeigen, ein altes Bauernhaus oder eine Dschungellandschaft. Mithilfe analoger Mittelformat-Scans hebt sie bestimmte Elemente hervor oder intensiviert eine vorhandene Stimmung, was auf den Betrachter leicht surreal oder verwirrend wirkt. Aber ohne dass man sich diese Wirkung gleich erklären kann.

Auch im Video "I never saw the bald eagle" von Rikard Fåhraeus, das wie die Arbeiten von Florence Bühr in der Ausstellung "Map, Mind, Memory" in der Galerie der Künstler zu sehen ist, geht es um eine Wahrnehmungsirritation. Oder ist dieser Raketenvogel echt, der dem aus Stockholm stammenden Künstler bei einem Künstleraufenthalt in San Francisco an den Kopf knallt, als er nach Federn von einem Weißkopfseeadler sucht? Fåhraeus' Film ist eine sympathische Mockumentary, ein humorvolles Spiel mit amerikanischen Klischees und Mythen. Weit ernsthafter in der Wirkung sind die "Earthlings", die Fåhraeus im letzten Raum der Ausstellung platziert hat: aus Erde geformte Kinderfiguren an Holzkrücken und mit geöffneter Hand. Ein Sinnbild für die Bedürftigkeit des Menschen, der wie ein Kind immer nach mehr bettelt? Oder eher ein Bild für die aktuelle Flüchtlingskrise?

Um Karten und Landschaften geht es bei "Map, Mind, Memory", einem auf mehrere Teile angelegten Ausstellungsprojekt des internationalen Künstler-Netzwerks "Being in the World". Und das im weitesten Sinne. Das heißt, im Zentrum stehen eher Fragen wie: Welche Bilder machen wir uns von uns selbst und von der Welt? Wie orientieren wir uns, und wie wird unsere Weltsicht durch neue Technologien verändert? Die von Bertram Schilling aus München und Kenneth Pils aus Stockholm organisierte Ausstellung in der Galerie der Künstler mit Arbeiten von elf Künstlern aus Deutschland, Schweden und Finnland bildet den Auftakt. Danach sind Ausstellungen in Graz, Helsinki, Kopenhagen und Stockholm geplant.

Eindeutige Antworten findet man in "Map, Mind, Memory" nicht. Eher einen vielschichtigen, aber in sich dann doch sehr stimmigen Assoziationsraum, im dem sich immer wieder Querverbindungen auftun. Das Motiv der Reise, die in Fåhraeus' Film zu einer seltsamen Begegnung führt, findet sich etwa in den Videofilmen von Mila Rinne wieder, die wie gemalte Roadmovies wirken. Oder indirekt in den Gemälden von Oliver Winheim, die mit ihren Linien und Feldern teilweise an Landkarten erinnern. Oder auch bei Susanne Högdahl Holm, dort aber abgewandelt in das Thema der Flucht. "Brechts Bibliothek" heißt ihre Arbeit, die sich auf eine Liste von Büchern bezieht, die Berthold Brecht auf seiner Flucht im Zweiten Weltkrieg nach Helsinki bringen wollte.

Eine Kopie dieser Liste hängt aus. Wer will, kann diese durch Buchvorschläge ergänzen. Gleich daneben hängen zwei kleine, aus Buchseiten gebastelte "Zeltdörfer". Auch die alternative Europakarte auf dem Boden, auf der die Künstlerin die Fluchtrouten verschiedener Schriftsteller gezeichnet hat, erinnert an ein Zelt und weckt wie Fåhraeus' "Earthlings" Assoziationen an die Flüchtlingskrise. Ein echtes, an der Decke aufgehängtes Zelt begegnet einem bei Stefan Wischnewski. Ein Symbol für Schutz, genauso wie der aus einem Sonnenschirmgestell gebaute "Anker" oder das "Kreuz" aus Rucksäcken und einem Taschentrolly? Ganz grundlegend um die Wahrnehmung der Welt geht es, zumindest indirekt, bei Lotte Nilsson-Välimaa, die die Augen von mehr als 200 Ausstellungsbesuchern aquarelliert hat. Jede Iris, jede Pupille wirkt anders, genauso wie die Welt, die wir jeweils ganz individuell mit deren Hilfe wahrnehmen.

Map, Mind, Memory, bis 22. Nov., Galerie der Künstler, Maximilianstr. 42; am Do., 5. Nov., um 18 Uhr: Führung durch die Ausstellung

© SZ vom 04.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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