Ausstellung:Verstrickt und verzurrt

Lesezeit: 2 min

Farben und Formen setzt Heiko Herrmanns wie ein Komponist die Töne, dynamisch und kraftvoll. Das Gemälde "Busant" (2009) ist im Künstlerhaus Marktoberdorf zu sehen. (Foto: Heiko Herrmann, VG Bildkunst 2018)

Das Künstlerhaus in Marktoberdorf zeigt bis Mitte September 60 Gemälde und Skulpturen von Heiko Herrmann, der ergründet, was die Welt im Innersten zusammenhält

Von Sabine Reithmaier

Die Farben haben sich verändert. Sie sind im Laufe von 30 Jahren intensiver, leuchtender, glühender geworden. Thematisch aber hat Heiko Herrmann seinen Weg nie verlassen. Unentwegt malt er seine expressiven Kraftfelder, dynamisch, energisch, jede Form kraftvoll gesetzt, durch schwarze Linien ein wenig gezügelt. Ungeheuer lebendig. 60 Gemälde und Skulpturen des Künstlers aus den Jahren 1976 bis 2018 zeigt das Künstlerhaus Marktoberdorf derzeit in einer retrospektiv angelegten Ausstellung, die zuvor bereits in mehreren Orten Station gemacht hat.

Dass der "Spur"-Maler Heimrad Prem ihn sehr geprägt hat, verhehlte Heiko Herrmann nie. Ein Jahr war er bei ihm als Schüler, hatte gerade seine Lehre als Glas- und Porzellanmaler hinter sich gebracht. Am Vormittag spannte Herrmann Keilrahmen auf, baute Rahmen und schnitt Passepartouts zu. Dafür erzählte ihm Prem am Nachmittag alles, was er über Malerei wusste, inklusive praktischer Anleitungen. Das eine Jahr sei eine viel fruchtbarere und intensivere Zeit gewesen als die vielen Jahre, die er danach an der Akademie verbrachte, erinnert sich der 65-jährige Herrmann im Katalog.

Prem war 1975 einer der Mitbegründer des Kollektivs Herzogstraße, Herrmann gehörte ihm von 1976 an. Die Künstler malten, ähnlich wie die Gruppe "Spur" einige Jahre zuvor, gemeinsam, versuchten viele Fragen im Kollektiv zu lösen. Wann etwa ist ein Malprozess abgeschlossen, wann ein Bild fertig, was passiert, wenn eine Partie noch einmal übermalt wird - an diese Fragen denkt man, wenn man vor Heiko Herrmanns Bildern steht, die übrigens ganz schön zu kämpfen haben mit den rotbraunen Klinkerwänden des Künstlerhauses Marktoberdorf.

Längst malt Heiko Herrmann allein, das Kollektiv löste sich 1981 auf. Aber seine Bilder haben sich trotz ihrer Sperrigkeit eine wilde Offenheit bewahrt; die letzten Relikte des Gegenständlichen, die sich in den frühen Werken noch erahnen lassen, sind verschwunden. Seit 30 Jahren ergründet Herrmann, was die Welt im Innersten zusammenhält. "Es gibt so viele Abbilder dieser Welt, doch keine Bilder für das Wie, Warum, Wozu. Weshalb sich diese Welt bewegt, zusammenhält, weitermacht. Sozusagen die innere Mechanik der Welt. Diese Bilder versuche ich zu erfinden", sagt er selbst. Tatsächlich laufen in den Gemälden mechanische Prozesse: Räder, Kolben, Bolzen fügen sich zu organisch verwobenen Formen, verstricken und verzurren sich. Die Bezüge zur gegenständlichen Welt ergeben sich allenfalls über Assoziationen, die die Titel wecken.

Eine Entdeckung sind Herrmanns Eisenskulpturen. Als er sich irgendwann einmal einen Bildschirm kaufte, fand er die Styropor-Hülle zu schade zum Wegwerfen. Er knüllte, bearbeitete und verklebte das duftig leichte Material, umgab es mit Schamott, füllte die Form mit glühendem Roheisen. Die Styroporskulptur verdampfte, doch ihre Form blieb im erkaltenden Eisen zurück. Diese Technik der verlorenen Form hat er inzwischen perfektioniert. Drei Terrakotten, mit Acrylfarben bemalt, wirken wie aus seinen Bildern entsprungen, anders als die zwei massiven Holzskulpturen auf Sockeln: "Quadratschädel" und "Himmel und Hölle" hat er sie genannt. Und auch das passt gut zu ihm und der vielschichtigen Vitalität seines Werks.

H eiko Herrmann: Verzurrte Welt , bis 9. September, Künstlerhaus Marktoberdorf.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: