Ausstellung:Tragfähig

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"Visionäre und Alltagshelden" im Oskar-von-Miller-Forum feiert die Ingenieurskunst

Von Evelyn Vogel, München

Um die Nullerjahre herum war oft die Rede davon, dass nun das Jahrhundert der "Stararchitekten" begonnen habe. Denn immer öfter machten Gebäude mit spektakulären Formen von sich reden. Dabei wurde leicht übersehen, dass die Hülle das eine ist. Unter und hinter dieser oft glamourösen Hülle aber etwas steht, was sehr viel profaner ist: Material, Statik, Tragwerkskonstruktion. Manche dieser Hüllen können überhaupt nur deshalb gebaut werden, weil mittlerweile mit Hilfe von Computersimulationen auch bei den verrücktesten Entwürfen berechnet werden kann, ob das Gebäude tragfähig sein wird.

Hinter jedem interessanten architektonischen Entwurf steht also ein guter Ingenieur, der die Idee in Stein, häufiger in Stahl und Glas umsetzt. Wenngleich dies immer öfter nach der Devise "höher, schneller, weiter" geschieht, weil Architekten und besonders ihre Auftraggeber nach immer neuen Rekorden lechzen.

Nur 22 Meter hoch war der Turm, mit dem eine "visionäre" Ausstellung im Oskar-von-Miller-Forum beginnt, die die Ingenieurskunst feiert: der Leuchtturm von John Smeaton vor der Küste von Cornwall aus dem Jahr 1759. Den Titel "Visionäre und Alltagshelden" trägt die Ausstellung nicht zu Unrecht. Denn was die Ingenieure entwickelten und zur Serienreife brachten, war die Basis, die all die spektakulären Gebäude, aber auch Brücken und Tunnel, Wasser- und Verkehrssysteme möglich machte. Im Falle Smeatons, war es wasserfester Zement.

Die Münchner Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem M:AI, dem Museum für Architektur und Ingenieurkunst NRW entstand, führt zwar zahlreiche spektakuläre Ingenieurleistungen vor Augen. Sie setzt aber nicht auf eine spektakuläre, sondern auf eine eher didaktisch aufbereitete Präsentation in drei Themenfeldern. Unter dem Stichwort "Schutz und Sicherheit" werden Beispiele zum umbauten Raum gezeigt. Zur "Versorgung" gehören Wasser- und Energieprojekte. Im Kapitel "Verbindung" schließlich geht es um Mobilität und Transport.

Entlang eines Parcours führt sie durch bauliche, historische und gesellschaftliche Entwicklungen vom Ende des 18. Jahrhunderts an bis heute. Dabei gilt das "civil engineering" zur Zeit der Aufklärung und der industriellen Revolution als entscheidende Wegmarke, von wo an nicht mehr nur im Auftrag von Fürsten und Königen gebaut wurde, sondern für eine Zivilgesellschaft mit gänzlich anderen Ansprüchen. Der Parcours, mit Tischen und Fähnchen bestückt, zeigt Meilensteinprojekte, Innovationen und herausragende Protagonisten auf, und er ist mit einer Zeitleiste überspannt, die ihn mit gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Ereignissen verknüpft. Am Boden zwischen den Stationen weisen Wegmarken zudem auf die Verbindungen zwischen den Ingenieuren hin. Wer hat wen beeinflusst, wer von wem gelernt, wer hat mit wem zusammengearbeitet oder über Jahrzehnte hinweg sich auf einen Vorgänger bezogen?

Der zweite Teil der Ausstellung basiert auf den seitlich aufgebauten Schautafeln und Bildern. Hier geht es um außergewöhnliche aktuelle Projekte. Und hier sind gewaltige Rekorde zu bestaunen. Die 2016 eröffnete Yavuz-Sultan-Selim-Brücke in Istanbul stellt mit 1408 Metern zwar längentechnisch keinen Superlativ dar, überspannt aber als Hänge-Schrägseil-Brückenkonstruktion den Bosporus und verbindet damit zwei Kontinente: Europa und Asien. Die beiden Pylonen sind jeweils so hoch wie der Eiffelturm und die höchsten Brückenpfeiler aus Beton weltweit. Die Bayerische Zugspitzbahn in Garmisch-Partenkirchen kreuzt auf ihrer viereinhalb Kilometer langen Fahrt nur eine Stütze, weshalb das freie Spannfeld mit 3213 Metern als das längste der Welt gelten kann. Wenn der Brennerbasistunnel zwischen Österreich und Italien 2025 fertig gestellt sein wird, wird er mit 64 Kilometern Länge der längste Eisenbahntunnel der Welt sein. Und schließlich geht die Ausstellung natürlich auch auf das wohl berühmteste Mega-Gebäude der Welt ein: das Burj Khalifa in Dubai, mit 829,8 Metern der derzeit höchste Wolkenkratzer der Welt.

Die Ausstellung setzt aber eben nicht auf Überwältigung, sondern auf Aufklärung und will versuchen, auch bei fachfernen Besuchern eine gewisse Faszination für das Bauwesen zu wecken. Die spektakulären Beispiele rahmen deshalb den Kern der Ausstellung eher ein und wirken wie Appetizer. Im Mittelpunkt stehen die Ingenieurleistungen der vergangenen gut zwei Jahrhunderte im Kontext der gewachsenen Herausforderungen und veränderten Bedürfnisse der Gesellschaft. Deutlich wird - und hierauf legt die Stiftungsinitiave der Bauwirtschaft, die hinter dem Oskar-von-Miller-Forum steht, großen Wert - wie sich das Berufsbild "vom klassischen Tragwerksplaner hin zum interdisziplinär denkenden und agierenden Ingenieur" mit verschiedenen Disziplinen entwickelt hat.

Visionäre und Alltagshelden. Ingenieure - Bauen - Zukunft , Oskar-von-Miller-Forum, Oskar-von-Miller-Ring 25, bis 14. Januar, Di-So 12-18 Uhr

© SZ vom 11.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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