Ausstellung:Schlote in der Landschaft

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Idylle oder Industrie: Eine Ausstellung im Ismaninger Kallmann-Museum zeigt den künstlerischen Blick auf die Randzonen der Städte und deren Entwicklung

Von Sabine Reithmaier

Kaum vorstellbar, dass Schwabing mal so ausgesehen hat. Haus, Garten, viel Landschaft - sonst nichts. In der Ferne ist die Stadt zu erahnen. 1937 hat der Münchner Maler Josef Seidl-Seitz diese idyllische Szenerie festgehalten. Seine kleine Radierung nimmt den Titel der Ausstellung im Ismaninger Kallmann-Museum wörtlich. "Die letzten Häuser" hat Museumsleiter Rasmus Kleine sie genannt. Auch wenn die wenigsten Künstler die städtischen Randzonen so positiv wie Seidl-Seitz sehen, liefert die Schau doch einen spannenden Beitrag zum Thema Stadtentwicklung, erstaunlicherweise ein Feld, das Künstler schon seit fast 100 Jahren zu Auseinandersetzung inspiriert.

Wilhelm Plünnecke (1894-1954) hat 1919 für seinen Kreide-Lithografie-Zyklus "Häuser, Bäume, Menschen" städtische Randzonen aufgesucht. Genauso wie Peter Piller, 1968 in Hessen geboren. Er umwanderte im Vorjahr die Schweizer Stadt Winterthur, fotografierte Industrieanlagen, Wohnsiedlungen und Grünanlagen, ergänzte sie im Nachhinein mit Skizzen, fand wie Plünnecke Motive in Arealen, die eine Stadt zwar braucht, um reibungslos zu funktionieren, die aber nicht "schön" sind. Den Blick für die weniger lieblichen Stadtansichten hatte der Erste Weltkrieg geschärft. Erst in den Zwanzigerjahren beginnen Straßen, Eisenbahnen, Baustellen, Bahnbrücken und Industrieanlagen in Gemälden und Zeichnungen aufzutauchen. Die Arbeitersiedlungen vor den Fabriken, die der in Gelsenkirchen aufgewachsene Friedrich G. Einhoff malte, muten allerdings in ihrer expressiven Farbigkeit noch ländlich entspannt an. Das gilt auch für Theo Gebürschs wunderbar schwankende "Berliner Gartenhäuser" oder die Landschaften Max Zettlers, eines Münchner Autodidakten, der heute fast vergessen ist.

Letzte Häuser: Friedrich Einhoff malte seine "Gleise" vor einer Fabrik 1924/29. (Foto: Sammlung Gerhard Schneider, Olpe und Solinge)

Die Zeitgenossen setzen da ganz andere, viel härtere Akzente. Strahlend glänzen die Schlote des Heizkraftwerks Nord in Unterföhring, die Thomas Weinberger, Jahrgang 1964, vor einer menschenleeren Straße mit Einfamilienhäusern fotografierte. Die Szenerie ist taghell, obwohl Straßenlaternen leuchten. Weinberger hat Tag- und Nachtansichten übereinander geblendet. Sieht so aus, als würde sich etwas Ungutes ereignen, vielleicht ist es auch schon passiert.

Übergänge sind auch das Thema von Peter Bialobrzeski in seinen ebenfalls menschenleeren Aufnahmen. Im Vordergrund Brachland, dahinter glitzernde Gebäude, Prunkpaläste des Kapitalismus. Andere Aufnahmen zeigen alte Industriebauten, die, wie Baukräne signalisieren, ihrer Umwandlung harren. "Lost in Transition" nennt er seinen Zyklus, der ganz konkret Stadtentwicklungen nachspürt. Das tut auch Albert Weis, der mit einer Kamera durch die Gropiusstadt in Berlin gelaufen ist, eine Trabantensiedlung mit 18 500 Wohnungen. Hochhäuser, Betonwände, alles grau - so sieht Scheitern aus.

Thomas Weinberger fotografierte das Heizkraftwerk Nord in Unterföhring im Jahr 2003. (Foto: Thomas Weinberger, VG Bild Kunst 2015)

Andere Künstler konzentrieren sich auf die Menschen und die soziale Seite der städtischen Randzonen. Hans Tombrock hielt 1930 streikende Arbeiter vor Fabrikschloten fest, während Otto Fischer-Lamberg einen eindrucksvollen Holzschnittzyklus den Schattenseiten der Großstadt widmet. Enge Hinterhöfe, Kneipen, Arbeitslose, Prostituierte prägen diese düsteren, vom Expressionismus beeinflussten Darstellungen.

Auch der Österreicher Helmut Kandl erzählt in "Womit handelst Du?" von Randfiguren der Gesellschaft. Seine schnell ablaufenden Standbilder präsentieren Straßenhändler. Seine Frau Johanna Kandl dagegen lässt in ihrem großformatigen Gemälde grüne Wiesen übergangslos an hässlichen Plattenbauten enden. Dazwischen Menschen, Kühe und der Satz "You never know what will happen next". Und das klingt in dieser Szenerie gar nicht hoffnungsvoll, sondern eher bedrohlich.

Die letzten Häuser - Randzonen des Städtischen in der Kunst, bis 22. Nov., Kallmann-Museum Ismaning, außer Mo., 14.30 bis 17 Uhr

© SZ vom 07.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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