Ausstellung:Rot ist das neue Blau

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Die kulturellen Botschafter der Stadt München sind zurückgekehrt ins Lenbachhaus. Nun erschließt man den Blauen Reiter aus neuen Perspektiven und stellt die herausragenden Werke der Sammlung in neue Zusammenhänge

Von Evelyn Vogel

Eine Szene am Rande, vor wenigen Tagen im Lenbachhaus. Die neue Dauerpräsentation des Blauen Reiter wird bei laufendem Betrieb eingerichtet, damit man das, was trotz aller Ausleihe im Haus präsent war, für die Besucher geöffnet halten kann. Die meisten Bilder sind bereits wieder da, das meiste hängt so, wie man sich das für die nächsten zwei Jahre vorstellt. Ein Teenager positioniert sich mit seinem Smartphone vor dem "Tiger" von Franz Marc, um ein Foto von dem Bild zu machen. Ein Klick und der Junge zieht weiter zum nächsten Eyecatcher. Aber Moment mal, das ist doch gar nicht das Original, bemerkt man beim Näherkommen. Museumsdirektor Matthias Mühling geht schmunzelnd auf das Bild zu - und klopft auf Holz! Eine Reproduktion, ein Platzhalter. Aber die Szene illustriert bestens, warum das Lenbachhaus versucht, diese neue Dauerpräsentation mit einem etwas anderen Zugang zu versehen. Den Blauen Reiter sehen heißt, ihn nicht nur anhand seiner populären Werke abzuhaken, sondern seine Ideen zu verstehen.

Das Münchner Lenbachhaus und der Blaue Reiter: Das ist fast schon eine Schicksalsgemeinschaft, bei der das eine ohne das andere kaum denkbar ist. Mühling und sein Team bemühen sich fortwährend, durch die Wechselausstellung im Kunstbau und neue Akzentsetzungen in den ständigen Sammlungen, wie in der Kunst nach 1945, Neues zu präsentieren und dem Museum über den Blauen Reiter hinaus eine Bedeutung zu verschaffen. "Aber natürlich", sagt Mühling, "sind wir der Blaue Reiter". Die Popularität der Bilder sei eine permanente Verpflichtung. Eine Verpflichtung auch, möchte man sagen, gegen die Gefälligkeit der Bilder, gegen die Banalisierung von blauem Pferd und gelbem Tiger oder gelber Kuh anzuarbeiten.

Alexej Jawlenskys rot leuchtendes "Bildnis des Tänzers Sacharoff" wirkt nun wie das zentrale Bild in "Der Blaue Reiter kehrt zurück". (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus / VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Seit Anfang dieser Woche sind nun fast alle wieder da, die Schätze des Blauen Reiters. Auch der Tiger hängt jetzt im Original an seinem Platz. All die Mackes und Marcs, Klees und Kandinskys, Münters und Jawlenskys sind ins heimische Lenbachhaus zurückgekehrt aus Berlin und Frankfurt, aus Madrid, New York, Venedig, Tokio und den anderen Städten, in denen sie als Leihgaben unterwegs waren. Als "kulturelle Botschafter der Stadt", wie Kulturreferent Hans-Georg Küppers betont. Oder sie wurden in Windeseile aus der gerade zu Ende gegangenen Sonderschau "Klee & Kandinsky" im hauseigenen Kunstbau am Königsplatz herübergeschafft. "Eine logistische Meisterleistung", wie Mühling voller Stolz auf sein Team betont.

Die zweite Neugestaltung der Dauerausstellung nach der Wiedereröffnung des neuen Lenbachhauses vor knapp drei Jahren soll also den Blauen Reiter neu und anders erschließen. Zwar präsentiert man selbstverständlich die Highlights. Aber man will nicht nur die großen Werke aus der Münter-Schenkung zeigen, sie nicht, wie bisher oft "an einer Perlenschnur aufreihen", wie Mühling sagt, sondern die Sammlung auch "an den Rändern aufmachen". Deshalb hat man auch Arbeiten hervorgeholt und in den Mittelpunkt gerückt, die selten oder noch nie im Lenbachhaus zu sehen waren. Man hat weit mehr künstlerische Einflüsse auf die Künstlergruppe dargestellt als bisher: vom Jugendstil und von Franz von Stuck über den Spätimpressionismus bis hin zu europäischer und außereuropäischer Kunst- und Kulturgeschichte und eben - ganz wichtig - der Kinder- und Volkskunst.

Einflüsse von Volks- und Kinderkunst auf die Künstlergemeinschaft zeigt Gabriele Münters Bild "Im Zimmer, Frau im weißem Kleid". (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus / VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

So soll deutlich werden, welche Ideen hinter den Bildern stehen. Dabei muss man, um die politischen und gesellschaftlichen Utopien hinter den Bildern zu finden, beim Blauen Reiter nicht lange suchen. Im "Almanach", der 1912 den Beginn der Künstlerbewegung markiert, ist schon alles thematisiert und mit Beispielen illustriert. In der Ausstellung kann man auf einem Touchscreen durch die digitalisierte Fassung der Luxus-Ausgabe des Almanachs blättern und so nachvollziehen, wie eine neue Kunstidee Gestalt annahm. Oder, wie es dort heißt: "Das ganze Werk, Kunst genannt, kennt keine Grenzen und Völker, sondern die Menschheit." Eine Ansage gegen jedwede völkischen oder rassistischen Ideologie, egal zu welchen Zeiten.

Eine Idee, die alle Genres, Zeiten und Menschen einbezog, die Volkskunst gleichwertig neben akademische Kunst stellte, die ägyptische Schattenbilder, afrikanische Schnitzereien und bayerische Hinterglasbilder neben den Kunstwerken alter europäischer Meister oder einer aktuellen Avantgarde sah. Der Blaue Reiter, das wird Mühling nicht müde zu betonen, war weltoffen und international ausgerichtet und begriff - damals fast unerhört - die Kunst nicht nur als männliche Domäne, bei der die Frauen höchstens Modell saßen. Man saß im heimeligen Murnau und ging mit offenen Augen durch die Welt.

Auch das "Blaue Pferd" von Franz Marc ist zurück. (Foto: Städtische Galerie im Lenbachhaus / VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Wie beides in der Realität aussah, zeigen beispielsweise die Fotografien, die Gabriele Münter 1911 gemacht hat. Darauf zu sehen ist Kandinsky in der gemeinsamen Wohnung in der Ainmillerstraße. Die Wand hinter ihm ist vollgehängt mit Bildern - nicht mit eigenen Werken, sondern gerahmten und ungerahmten Beispielen aus ihrer Sammlung von Volks- und Kinderkunst. In der Ausstellung hat man an der Wand gegenüber diese Bildchen, die Teil der Münter-Schenkung waren, in gleicher Form und Dichte und in der originalen Rahmung präsentiert. In einem anderen Raum hängen Bilder von Gabriele Münter neben Beispielen aus der Kinderkunstsammlung (hier fehlt die ersten Tage noch das Bild der Frau in Weiß im Zimmer). Am Ende der Schau werden historische Filmbeispiele gezeigt, die für Münter von Bedeutung waren, und auf Hörstationen sind Beispiele musikalischer Inspirationsquellen vor allem für Kandinsky - Stücke von Arnold Schönberg, Anton von Webern und Alban Berg - zu hören.

Nun soll aber nicht der Eindruck entstehen, dass es beim Blauen Reiter nunmehr nur noch theoretisch-didaktisch zugeht. Nein, Raum für Raum kann man die Künstlergruppe einerseits neu entdecken, andererseits aber auch seinen alten Lieblingen huldigen. Da ist die Neue Münchner Künstlervereinigung, da sind Münter und Kandinsky mit den frühen Ölskizzen, dann in Murnau Münter und Macke, Marc, Klee. Der große Kandinsky-Raum, geordnet nach warmen und kalten Klängen, ist immer noch und immer wieder eine Sensation. Jawlensky ist zahlreich zu finden. Überhaupt Jawlensky: Dem gibt man deutlich mehr Gewicht. Geradezu exemplarisch für dessen neuen Stellenwert: Nicht das blaue Pferd, nicht die gelbe Kuh oder der Tiger von Marc sind die Teaser dieser neu arrangierten Dauerpräsentation. Sondern Jawlenskys "Bildnis des Tänzers Sacharoff". Dessen androgynes Antlitz ziert auf Plakaten seit Wochen die ganze Stadt. Rot ist jetzt die Farbe des Blauen Reiter.

Der Blaue Reiter kehrt zurück. Städtische Galerie im Lenbachhaus, Luisenstraße 33, Di 10-20 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr

© SZ vom 03.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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