Ausstellung:Licht und viel Schatten

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In der Mewo Kunsthalle Memmingen sind lange verschollene Arbeiten von Julius Guggenheimer zu sehen - der jüdische Fotograf wurde von den Nationalsozialisten ermordet

Von Sabine Reithmaier

Fenster spielen eine wichtige Rolle in den Fotografien Julius Guggenheimers. Öffnungen, durch die Sonnenlicht fällt und zarte Muster zeichnet auf die Menschen, die vor ihnen stehen oder sitzen. Bruder Kolumban Berchtenbreiter, der in den Dreißigerjahren offenbar die Schlüsselgewalt in der Benediktinerabtei Ottobeuren innehatte, malt das Licht Gitterkringel auf die Kutte. Gesicht und Hände des Paters Wolfgang Fella taucht es dagegen in ein fast übernatürliches Weiß, während es den Malermönch Michael Müller in harte Schwarzweiß-Flächen zerlegt. 70 Jahre hat diese Aufnahmen niemand mehr gesehen, kaum jemand wusste, dass es sie überhaupt einmal gegeben hatte. Jetzt hängen sie in der Mewo Kunsthalle in Memmingen und erinnern an einen großen Lichtbildner.

Licht- und Schattenstudien prägen nicht nur die Ottobeurer Porträts, sondern auch die Häuserlandschaften und Fassaden, die Julius Guggenheimer mit seiner Kamera festhielt. Er muss Memmingen sehr geliebt haben, sonst hätte er wohl kaum so viele Details festgehalten, so viele Ecken und Winkel fotografiert, zu allen Tages- und Jahreszeiten, ob im Tiefschnee oder im Mondlicht. Ganz nebenbei erzählt die Ausstellung vom Leben eines Memmingers, der irgendwann kein Memminger mehr sein durfte, sondern als jüdischer Fotograf seine Heimat verlassen musste.

Axel Lapp, Leiter der Kunsthalle Memmingen und Kurator der Ausstellung, wurde vor zwei Jahren auf die Guggenheimer-Fotos im Stadtarchiv aufmerksam. Die Stadtansichten gefielen ihm, doch wirklich Feuer fing er erst, als er während seiner Recherche merkte, dass Guggenheimer nicht nur seinen Heimatort, sondern noch viel mehr fotografiert hatte. Die Spurensuche war mühsam. Schon allein deshalb, weil keines der Fotos datiert ist. Bestandsverzeichnisse interessierten Guggenheimer wohl auch nicht. Auf einem Foto ist die große Memminger Synagoge zu sehen, eingeweiht im September 1909 und 29 Jahre später in der Pogromnacht zerstört. Das steckt zumindest das Zeitfenster ab.

Allzu viel ist über den Mann bis heute nicht bekannt. 1885 in Memmingen geboren, stieg er nach dem Gymnasium und einem Volontariat in Mannheim 1905 in das elterliche "En-Gros-Haus für Kurz-, Woll- und Galanteriewaren" ein. Eigentlich wäre er gern Offizier geworden, absolvierte zwischen 1906 und 1908 erst ein Jahr als "Freiwilliger" und anschließend diverse Übungen beim 12. Infanterie-Regiment. Doch dann endete seine militärische Karriere, "da bei Guggenheimer die seiner Rasse vielfach anhaftenden Eigentümlichkeiten in ziemlich starkem Maße in Erscheinung treten, auch in der äußeren Erscheinung sehr deutlich zu erkennen sind", wie der Kompaniechef urteilte. Zum Werkstatt-Offizier des königlichen Bekleidungsamts reichte es, er "durfte" im Ersten Weltkrieg auch zeitweilig in Verdun kämpfen.

Wann er das Fotografieren für sich entdeckte, ist ungewiss. Die Memminger Zeitung erwähnt am 27. Oktober 1919 erstmals Guggenheimers "künstlerisch photografische Aufnahmen" von Straßen und Gebäuden. Bald darauf findet sich Guggenheimer auch in Fotomagazinen wieder. Die im Original verschollenen Bilder belegen, dass er vermutlich viel gereist ist. Nicht nur durch Europa, er fotografierte auch in Nordafrika. Überhaupt signalisieren Auseinandersetzungen mit Guggenheimers Fotos in Fachmagazinen nicht nur einen überregionalen Bekanntheitsgrad, sondern belegen auch, dass seine Bilder in Ausstellungen gezeigt wurden. Er gewann Wettbewerbe, erhielt viel Lob wegen seines "ästhetischen Empfindens". Eine Ehrenurkunde der Arbeitsgemeinschaft jüdischer Amateurfotografen würdigt ihn als besten jüdischen Amateurfotografen, als "unerreichten Meister des fotografischen Genrebildes".

Eine Weile lief das Leben gut für den verheirateten Kaufmann, Vater von zwei Kindern und Besitzer eines Autos mit Chauffeur. Zeitgenossen würdigten ihn als hilfsbereit und sozial eingestellt, er kam für Studienhilfen auf, unterstützte regelmäßig arme Mitbürger. Jedenfalls solange es ihm möglich war. 1938 zwangen ihn die Nazis, sein Geschäft zu verkaufen. Am 11. November 1938 wurden er und sein Sohn Fritz verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau gebracht, die Wohnung verwüstet. Als ehemaliger Frontkämpfer kam der Fotograf zwar zwei Wochen später wieder frei, doch ohne seine Beziehungen wäre es wohl kaum gelungen, Fritz ebenfalls wieder loszueisen. Irgendwann in dieser Zeit "schenkte" er einige Fotoplatten mit den Memminger Aufnahmen dem ehemaligen Altertumsverein, der sich jetzt "Heimatdienst Memmingen" nannte.

Guggenheimer und seine Familie hielten bis 1939 durch. Dann gelang es, den Kindern die Ausreise nach England zu ermöglichen. Unmittelbar danach - das Geschäftshaus in der Kalchstraße 47 ging im März 1939 für 38 000 Reichsmark in den Besitz der Stadt über - wanderten er und seine Frau Regina nach Amsterdam aus, im Gepäck die Glasnegative mit den Aufnahmen aus dem Ottobeurer Kloster.

Im Exil machte Guggenheimer das, was er am besten konnte: Er eröffnete ein Fotostudio. Das lief zeitweilig so gut, dass er stundenweise Assistenten beschäftigte. Einem davon, dem späteren Dokumentarfilmer Paul A. J. Wijnhoff, übergab er seine Ottobeurer Glasnegative, unmittelbar bevor er 1943 nach Westerbork deportiert wurde. Wijnhoff hütete sie sorgsam. Als Teil seines Nachlasses landeten die Platten im Amsterdamer Stadtarchiv, kamen dann ins Nederlands Fotomuseum Rotterdam. Dort wusste man mit dem Namen Guggenheimer nichts anzufangen, stellte aber, um Näheres zu erfahren, einige Aufnahmen ins Internet. Dort entdeckte sie Axel Lapp.

Inzwischen ist es ihm mit Hilfe der Abtei gelungen, die meisten der Patres zu identifizieren. Wie es Guggenheimer seinerzeit schaffte, die Mönche von seinem Großprojekt zu überzeugen, darüber gibt es nur Spekulationen. Die Beziehung zwischen dem jüdischen Fotografen und den katholischen Mönchen oder den Franziskanerinnen, die im Kloster eine Handarbeitsschule betrieben, muss vertrauensvoll gewesen sein. Sonst hätten sie sich kaum so wunderbar zwanglos in Szene setzen lassen.

Guggenheimer hoffte noch im Lager Westerbork, den Nazis zu entkommen. "Ich habe mir alles schlimmer vorgestellt", schrieb er am 30. Mai 1943 in einem Brief. Darin bittet er den "lieben Doktor", seiner Schwägerin in Bern etwas Druck zu machen. Er warte seit zwei Monaten auf ein Visum für Honduras. Das Visum kam - drei Wochen zu spät. Julius und Regina Guggenheimer wurden am 1. Juni in einen Zug nach Sobibòr gepfercht und unmittelbar nach ihrer Ankunft am 4. Juni in den Gaskammern ermordet.

Julius Guggenheimer: Fotograf , bis 19. Juni, Mewo Kunsthalle, Bahnhofstraße 1, Memmingen

© SZ vom 11.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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