Ausstellung im Städel-Museum:Wenn Götter unter sich sind

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Rubens hat das von Tizian gemalte „Venusfest“ wohl am spanischen Hof kennengelernt. Doch erst Jahre später in Antwerpen hat er das bewunderte Meisterwerk in der hier abgebildeten Form nachgemalt. (Foto: Nationalmuseum, Stockholm)

Im Vergleich mit seinem großen Vorbild Tizian zeigt sich das Können von Peter Paul Rubens am deutlichsten. Auch Tizians "Venus und Adonis" inspirierte den Flamen, und er schuf ein ähnliches, doch neues Bild.

Von Gottfried Knapp

Wenn eines der großen Genies der Kunstgeschichte sich mit einem anderen Genie misst, darf man Einzigartiges erwarten. Peter Paul Rubens (1577 - 1640) ist immer schon als einer der bildmächtigsten und einfallsreichsten Künstler des europäischen Barocks gefeiert worden. Die ihm gewidmete Ausstellung im Städel in Frankfurt zeigt höchst eindrucksvoll, wie Rubens die aus Bildwerken anderer Künstler bezogenen Anregungen umgeformt, mit fast explosiver Kraft aufgeladen und zu etwas bestürzend Neuem, etwas Gewaltigem verdichtet und übersteigert hat. Doch - und auch das zeigt die Ausstellung - Rubens hat als Maler auch auf Gemälde reagiert, die er schlicht für vollkommen hielt, an denen er nichts verbessern konnte, die er selber gerne erfunden hätte. Ja, einen älteren Kollegen - den venezianischen Malergott Tizian - hat Rubens so rückhaltlos bewundert, dass er irgendwann anfing, einige der spektakulärsten Bilder seines Vorbilds, die er auf Reisen entdeckt hatte, möglichst detailgetreu und möglichst im Originalmaßstab aus dem Gedächtnis nachzumalen. Bei diesen Werken des Venezianers begnügte sich Rubens also mit der Rolle des Kopisten, des nachempfindenden Schülers.

Doch wie ein Maler um 1635 im fernen Antwerpen das damals in Madrid in den königlichen Sammlungen nur für wenige Höflinge zugängliche "Venusfest" Tizians in solch kongenialer Vollkommenheit hat reproduzieren können, bleibt ein großes Rätsel. Zeichnungen, die Rubens bei seinen Besuchen am spanischen Hof in den Zwanzigerjahren vom Original hätte machen können, sind nicht erhalten. Man kann sich also nicht erklären, wie das muntere Gewimmel der auf dem Boden und in den Bäumen herumtobenden Eroten ein zweites Mal zu solch quirligem Leben erweckt werden konnte.

Als Tizian 1519 sein "Venusfest" für den Herzog von Ferrara malte, hat er sich inhaltlich genau an den ihm zugestellten antiken Text gehalten und mit sichtlicher Lust das dort beschriebene erotische Idyll in seinem Stil zu Ende fantasiert: In einem Obstgarten haben sich ganze Geschwader von geflügelten Liebesgöttern versammelt, um über die von den Bäumen purzelnden Äpfel herzufallen und spielerisch den Rausch zu genießen, den diese Gaben der Natur in ihren Körpern auslösen.

Das alles ereignet sich unter den Augen der steinernen Venus, die als Kultbild auf einem hohen Sockel vor einer Felsgrotte steht und in kühler Gelassenheit die Quelle bewacht, die das Wasser für den Liebesgarten liefert. Seitlich vor der Grotte haben sich Nymphen niedergelassen; eine von ihnen begrüßt die Göttin mit fast schon bacchantischem Furor. Doch mehr als die Hälfte des großen, fast quadratischen Gemäldes ist der Landschaft vorbehalten. Wir bestaunen die mächtige Baumgruppe, die unter ihrem dunklen Laubschopf den Blick zum hellen Horizont freigibt, also den Raum suggestiv in die Tiefe öffnet. Und wir bewundern das lockere Spiel der Wolken am blauen Himmel. Das Venusfest ereignet sich also trotz des hektischen Treibens im Vordergrund in einem Landschaftsraum von verblüffender Natürlichkeit und von fast magischer Tiefe.

Im Katalog der Ausstellung kann man das Gemälde von Tizian, das den Prado in Madrid wohl nie mehr verlassen wird, in einer Abbildung studieren und mit der daneben abgebildeten Neuschöpfung von Rubens vergleichen, die vom Stockholmer Nationalmuseum nach Frankfurt ausgeliehen worden ist. Tizians Bedeutung für die Entwicklung der Hintergrundlandschaft in der italienischen Malerei lässt sich an diesem für einen kunsthungrigen gebildeten Auftraggeber gemalten Schaustück besonders schön ablesen. Kein Kollege hat Bäume, Hügel und Täler in seinen Landschaftsausblicken mit solch realistischer Glaubwürdigkeit zu etwas natürlich Gewachsenem zusammensetzen können wie Tizian, der Berge und Täler gut kannte, da er nicht in Venedig, sondern in Pieve di Cadore bei Belluno, also in einem tief in den Alpen gelegenen Tal aufgewachsen ist.

Rubens, dessen seltene Landschaftsbilder zum Schönsten gehören, was in dieser Gattung geschaffen wurde, hat den außerordentlichen Rang von Tizians Naturvision begriffen und als Maler entsprechend temperamentvoll auf sie reagiert. So dokumentarisch getreu er die schier unendliche Vielfalt der figürlichen Bewegungen nachgezeichnet hat, so frisch und lebendig hat er die Landschaft aus den vorgefundenen Elementen neu erstehen lassen. Die Bäume sind in fast impressionistisch freier Pinselschrift auf die Leinwand gesetzt. Und der Himmel, der bei ihm deutlich schmaler ausfiel als beim Vorbild, ist von sommerlicher Luftigkeit. Dennoch hat Rubens hier den Platz gefunden, an dem er Tizians Renaissance-Vision barock übersteigern konnte: Ganz oben am Himmel fährt der von Schwänen gezogene Sonnenwagen Apolls prallplastisch aus den Wolken.

Bei "Venus und Adonis" hat Rubens die Figuren Tizians genau umgedreht

Bei einem anderen einprägsamen Bildmotiv ist es den Organisatoren der Ausstellung gelungen, das Tizian'sche Vorbild und die von Rubens rund 70 Jahre später gemalte Version nebeneinanderzustellen. Auf Tizians grandiosem spätem Gemälde "Venus und Adonis" - es gehört dem J.-Paul-Getty-Museum in Los Angeles - ist die vom Pfeil Amors getroffene, liebeskranke Venus auf dem Liebeslager von hinten zu bewundern. Der von ihr umschlungene Adonis versucht sich ihr zu entwinden und den nach rechts drängenden Jagdhunden zu folgen. Rubens, der diese Komposition vielleicht in seitenverkehrter Form aus Nachstichen kannte, hat die Szene umgedreht. Bei ihm ist Venus also von vorne zu sehen. Der schöne Jüngling aber - er wird von Amor am Schenkel festgehalten - ist hier sichtlich beeindruckt von der fleischlichen Pracht, die sich vor ihm auftut. Doch er hat sich erhoben, er wird der Versuchung widerstehen und seinen Hunden, die sich irritiert umgedreht haben, folgen.

Dass sich das Metropolitan Museum in New York von diesem Meisterwerk getrennt hat, das zeigt, wie hoch die von Wien und Frankfurt gemeinsam organisierte Ausstellung in der internationalen Museumswelt bewertet wird.

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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