Ausstellung:Im Rhythmus der Schlote

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Die Ruhrgebietslandschaften sind jetzt in München zu sehen: "Winterlandschaft mit Zeche Pluto in Wanne-Eickel", 1929. (Foto: N/A)

Die Ruhrgebietslandschaften von Albert Renger-Patzsch gehören zum Herzstück der Stiftung von Ann und Jürgen Wilde. Jetzt sind sie in der Pinakothek der Moderne zu sehen

Von Evelyn Vogel

Ein roter Salon empfängt den Betrachter. Auf dunkelroten, in Winkeln eingezogenen Wänden werden die Schwarz-Weiß-Fotografien der Ruhrgebietslandschaften von Albert Renger-Patzsch in der Pinakothek der Moderne präsentiert. Da mag die Neue Sachlichkeit noch so sehr den kühlen, dokumentarischen, mitunter beiläufig wirkenden Blick pflegen, derart arrangiert, wird die fotografische Werkschau dem Betrachter überraschend nahe gerückt, wirkt fast intim, ohne die Aufnahmen zu banalisieren. Jedes Bild erhält den ihm angemessenen Raum, um sich zu entfalten. Und auch wenn sich die Pinakothek etwas Zeit gelassen hat, um dieses herausragende Konvolut aus der Stiftung Ann und Jürgen Wilde zu präsentieren, so ist sie nun mit viel Aufmerksamkeit an die Umsetzung gegangen.

Zu verdanken hat man dies der Kuratorin Simone Förster, die sich um die Stiftung Wilde kümmert, die 2010 ans Haus kam. Das Archiv von Karl Blossfeldt gehört übrigens dazu ebenso wie das seines gut drei Jahrzehnte jüngeren Kollegen Albert Renger-Patzsch. Beide Archive sind seit 1991 als national schützenswertes Kulturgut anerkannt und bilden das Herzstück der Sammlung Wilde. Mit wie viel Liebe zum Detail, mit welch zeitlichem und sicher auch finanziellem Aufwand die Wildes ihre Sammlung seit den Siebzigerjahren aufgebaut haben und sie bis heute hegen und pflegen, wird deutlich, wenn man mit ihnen spricht. Da gewinnt man schnell den Eindruck, dass sie die Provenienz jedes einzelnen Abzugs, dessen einstigen und aktuellen Zustand mitsamt der Negative und sonstiger Archivalien kennen und jedes Bild höchst persönlich sortiert und inventarisiert haben. Etliches dazu ist auch in dem Interview nachzulesen, das Förster mit den Sammlern geführt hat und das in der begleitenden Publikation zur Ausstellung abgedruckt ist.

Vom Wandel der Zeiten kündet die Aufnahme "Bohrerstraße und Zeche Victoria Mathias", Essen, 1929 von Albert Renger-Patzsch. (Foto: Bayerische Staatsgemäldesammlun; Albert Renger-Patzsch / Archiv Ann und Jürgen Wilde / VG Bild-Kunst, Bonn 2016)

Die Ruhrgebietslandschaften nehmen im Werk Renger-Patzschs auch deshalb eine Sonderstellung ein, weil sie kein Auftragswerk waren. Auf eigene Faust fotografierte der 1897 in Würzburg geborene Sohn eines Musikalienhändlers und Amateurfotografen das Ruhrgebiet, vermutlich sogar nur als Teil eines weitaus umfassenderen Projekts, das nur nie verwirklicht wurde. Er dokumentierte zwischen 1927 und 1935 eine Landschaft, die sich innerhalb kürzester Zeit von einem ländlichen zu einem urbanen, ja industriellen Raum entwickelte.

Leisten konnte sich das der bis dahin vor allem durch Auftragsarbeiten für Industrie und Wirtschaft tätige Fotograf durchaus. Sein Buch "Die Welt ist schön", erschienen 1928, brachte ihm weitere gut bezahlte Aufträge und zudem etliche Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland. Und nach 1935 war er so arriviert, dass er bis zu seinem Tod 1966 unzählige Auftragsreisen unternahm, Fotoserien und Buchveröffentlichungen verzeichnete und mit Ehrungen und Preisen überhäuft wurde.

Auch vor diesem Hintergrund kann man sagen, die Ruhrgebietslandschaften sind Renger-Patzsch pur. Ihn trieb kein sozial- oder gesellschaftskritisches Interesse an wie die Fotografen der amerikanischen FSA wie Walker Evans oder Dorothea Lange, er fühlte sich nur der Neuen Sachlichkeit verpflichtet. So stehen im Mittelpunkt der Aufnahmen vor allem Landschaften, Stadtränder und Industrieanlagen. Die Rhythmisierung von Schloten, Bäumen und Laternenmasten, von Bergarbeitersiedlungen, Straßen, Schienen und Abraumhalden, von Fördertürmen und Gartenzäunen zeugt von einem großartigen Blick für Komposition und Struktur. Renger-Patzschs fotografisches Werk sollte so zum Vorbild für Fotografen wie Bernd und Hilla Becher und deren Schüler werden. Nur selten sind auf seinen Ruhrgebietslandschaften Menschen zu sehen. Man muss schon sehr genau hinschauen, um das kleine Mädchen zu entdecken, das sich auf der Aufnahme der Straße in Essen-Stoppenberg von 1932 an den Lattenzaun drückt.

"Gehöft in Essen-Frohnhausen und Zeche Rosenblumendelle", 1928. (Foto: Nicole Wilhelms; Albert Renger-Patzsch)

83 zumeist Originalabzüge der Ruhrgebietsserie aus den Zwanziger- und Dreißigerjahren, ergänzt durch Archivalien und Dokumente, werden in zum Teil freistellenden Passepartouts und schlichten Rahmen präsentiert. Darunter auch 15, die Renger-Patzsch eigenhändig im Großformat auf speziellem Papier abgezogen hat. Vermutlich wollte er diese in einer Ausstellung präsentieren, zu der es dann aber nie kam.

Unterstützt durch die Bayerische Sparkassenstiftung ist parallel zu den Ruhrgebietslandschaften ein Social-Media-Projekt entstanden. Unter #StadtLandBild wurden auf Instagram aktuelle urbane Räume im Wandel zwischen Industrie, Natur und Landschaft versammelt. Zudem waren Studierende der Folkwang Universität der Künste in Essen unterwegs, um ihren Blick auf das Ruhrgebiet festzuhalten. Streetphotography im 4.0-Modus als Gegensatz zu den fast 100 Jahre älteren Bildern Renger-Patzschs. Ob dieses Projekt tatsächlich einen Bogen zur Neuen Sachlichkeit und den so genau komponierten und strukturierten Fotos der Ruhrgebietslandschaften Renger-Patzschs schlagen kann, ist fraglich. Aber eines tut es sicherlich: Es holt jüngere Betrachter dort ab, wo sie zu Hause sind. Im Medienzeitalter.

Albert Renger-Patzsch. Ruhrgebietslandschaften. Pinakothek der Moderne, Barer Str. 40, Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr, bis 23. April

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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