Ausstellung:Grantnotizen

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Das Kunstprojekt "Wanderbank" auf dem Bernd-Eichinger-Platz

Von Stefan Sommer, München

Neben den zweckdienlichen Bierbänken vor dem alten Waggon des Bahnwärter Thiel steht bis kommenden Montag auch eine Gartenbank. Aus hellem Holz und mit einer gebogenen Lehne gefertigt, steht sie da, mitten auf dem Bernd-Eichinger-Platz. "Die Wanderbank soll ein Platz sein, an dem man einfach auch nichts tun darf", erklärt die Schriftstellerin Christiane Huber im Waggon ihrem Publikum und schaut durch die Zugfenster nach draußen auf die Bank. Bei der Lesung im zum Veranstaltungsort umfunktionierten Zugabteil liest sie zusammen mit dem Münchner Autor Friedrich Ani und der Dokumentarfilmerin Sanne Kurz Gedichte und Geschichten über das hölzerne Kleinod.

Besonders die beiden Frauen haben in den vergangenen drei Jahren mit dem Projekt "Wanderbank" viel Zeit verbracht: In Zusammenarbeit mit den kirchlichen Bahnhofsmissionen, dem Staatsministerium und dem Verein In Via Bayern waren die Künstlerinnen in vielen bayerischen Bahnhöfen zu Gast, um Reisenden, Passanten, Rastlosen und Heimatlosen einen neuen Ort der Einkehr zu schaffen. In ihrer Rolle als "Geschichtensammlerin" saß Christiane Huber viele Stunden und sogar ganze Tage auf der Bank und hörte in Passau, Ingolstadt, Schweinfurt, Aschaffenburg und Würzburg auch denen zu, die vielleicht keinen Twitter-Account, kein Facebook-Profil oder kein intaktes soziales Umfeld haben, um Sorgen und Erlebnisse mit jemandem zu teilen. Entstanden ist eine Chronik irrwitziger Randnotizen, Gaunerpossen und Bahnhofsplaudereien.

"Politisch geht es uns auch darum", setzt Sanne Kurz den Gedanken Hubers im Waggon fort, "den öffentlichen Raum zurückzuerobern." Wie das aussehen kann, zeigen die Fotos, die sie in dieser Zeit geschossen hat. In der Foto-Schau auf zwei Holzaufstellern vor dem Zugabteil vor der Hochschule für Fernsehen und Film (HFF) hängen noch bis 12. September ihre Momentaufnahmen von Begegnungen, die den oft so anonymen sozialen Kosmos "Bahnhof" neu zeigen.

Eine Stimmung, die auch in den Schnipsel-Gedichten und Wortfetzen-Montagen Anis spürbar wird, der selbst einige Tage als "Geschichtensammler" mit der Bank unterwegs war. Mit seinem Manuskript in Händen steht er nun ebenfalls im Bahnwärter-Thiel-Waggon und erzählt von den Gesprächen auf dieser besonderen Bank. Es sind Fragmente aus den Leben von Vergessenen und Außenseitern. Diese Poesie der Einsamen, die Christiane Huber und Sanne Kurz seit Jahren sammeln und öffentlich machen, zeigt in Anis Gedichten, bei aller Härte, Melancholie und Düsternis auch eine fremde, unbekannte Sprache mit Witz und Komik: "1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10. Deutsch zu Ende."

Projekt Wanderbank , noch bis Mo., 12. Sep., rund um die Uhr zugänglich, vor der HFF, Bernd-Eichinger-Platz 1, Eintritt frei

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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