Ausstellung:Faszination 1984

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Die Künstlervereinigung Dachau beschäftigt sich mit Orwell

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die Ausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) zu dem schwergewichtigen Titel "1984" wirkt wie ein Antidepressivum. Der ironische Höhepunkt ist erreicht, wenn Johannes Karl, Vorsitzender der KVD, in einem Video Kunstwerke aus mehreren Jahrhunderten als Kulisse eines Galopprennens vorbeiziehen lässt. Kein Jockey gewinnt, so wie kein Bild besser ist als das andere, sondern nur anders. So viel zum Thema menschlicher und künstlerischer Fortschritt.

Zur Philosophie der Bescheidenheit als Konsequenz aus George Orwells düsterem Roman passt die 1984 geborene Jessica Zaydan, die es als erwachsene junge Frau noch mal wissen will und an einer Karibik-Kreuzfahrt mit den gealterten Backstreet Boys teilnimmt. Gespenstisch heiter die Melange aus Video-Dokumentation und Relikten der Fankultur der achtziger und neunziger Jahre. Das Thema des allumfassenden Verblendungszusammenhangs erweitert die Künstlerin um eine nicht minder ernsthafte Variante. Sie stellt sich in ihrer selbst empfundenen Unzulänglichkeit als Boygroup-Fan bloß.

Jedes Jahr organisiert die KVD eine Ausstellung im Dachauer Schloss. Dabei strebt die Vereinigung, die auf den Beginn des 20. Jahrhunderts und die damalige große Zeit der Freilichtmalerei zurückgeht, nach überregionaler Aufmerksamkeit. Die bestand allerdings oft aus Touristen, welche bloß die berühmte Renaissancedecke bestaunen wollten.

Vor allem die jungen Künstlern innerhalb der KVD, die sich unter dem Titel "Vorgarten" zu einer Nachwuchsgruppe zusammengeschlossen haben, wollten deshalb raus aus dem Schloss. Da bot sich die 17 Hektar große Industriebrache einer ehemaligen Papierfabrik mitten in der Stadt Dachau an; es handelt sich um eines der großen, langwierigen und noch ungewissen Projekte der Konversion in Bayern. Dort hätte die KVD spektakuläre Hallen auswählen können, die teilweise Denkmäler der Jugendstilarchitektur sind. Aber sie bevorzugte das unscheinbare Verwaltungsgebäude. Die Wahl erwies sich als richtig, weil eine kleine Kunstmesse entstanden ist, in der jeder Beitrag für sich in einem abgeschlossenen Raum erfahren werden kann.

Annekathrin Norrmann nimmt die Zahl 1984 persönlich und erinnert an 31 Jahre Arbeit als Künstlerin, die sie in einer Vielzahl von Kunstbüchern dokumentiert. Was zunächst nach privater Mythenforschung aussieht, entpuppt sich als spannendes Projekt für jeden Betrachter, der in Büchern, Fotos und Collagen seine eigene Geschichte erzählen kann. Heiko Klohn, der vor seiner Zeit als Zeichner als Partner des Kabarettisten Andreas Giebel auf den Kleinkunstbühnen stand, ist bei diesem Thema in seinem Metier der Gesellschaftskritik. Der Google-Welt setzt er ein metaphernreiches Stillleben mit den Utensilien auch der schönen neuen Welt im Stil einer meterlangen altmeisterlichen Zeichnung entgegen.

In allen 26 Räumen des ehemaligen Verwaltungsgebäudes stellen die 30 Künstler aus München und der Region gemeinsam eine Frage: Wie sollen sie die Konfrontation mit einer Technologie wagen, die ihnen technisch und materiell komplett überlegen ist? Veronika Veit, die gerade auch in der 2. Biennale im Haus der Kunst in München zu sehen ist, lässt in kühler Ästhetik mehrere Frauentorsi auf Scheiben drehen, als wäre der immer gleiche Rhythmus schon ein Grund für vorbehaltloses Vertrauen. SZ-Tassilopreisträgerin Agnes Jänsch konfrontiert den Betrachter mit einem Videobild, das ihm starr gegenüber steht. Überwachen und Kontrolle wirken selbstzerstörerisch. Man muss sich abwenden.

Die Laserinstallation von Christian Engelmann "Jagdsaison" schließlich fasst die gesamte Ausstellung in ihrer Ambivalenz aus bedrückender Faszination und ironischer Distanzierung von Orwells Werk zusammen. Die roten Laserpunkte in der Dunkelkammer eines Windkanals wirken heiter wie Glühwürmchen. Aber auf die Dauer entwickeln sie ihr bedrohliches Potenzial. Sie sind schaurig schön. Harmlos und gefährlich.

© SZ vom 19.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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