Ausstellung:Die Welt als Wimmelbild

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Wurliges Gewusel tausender Menschlein: Jakub Nepraš Arbeit "Fossil" von 2007 ist eine Videocollage auf Plexiglas mit akustischen Elementen. (Foto: Jakub Nepraš)

Den tschechischen Medienkünstler und Bildhauer Jakub Nepraš beschäftigen Evolution und Technologie. Das Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg zeigt seine Arbeiten in einer multimedialen Schau

Von Sabine Reithmaier

Ayahuasca versetzt einen Menschen in Trance. Allerdings muss im Kunstforum Ostdeutsche Galerie niemand jenen Pflanzensud trinken, den die Einheimischen im Amazonasgebiet aus der "Liane der Geister" gewinnen. Es reicht schon, lange genug auf die gleichnamige, ästhetisch sehr ansprechende Videoskulptur Jakub Nepraš' zu starren und der Sound-Collage zu lauschen. Auf den ersten Blick scheint es sich um eine pulsierend zuckende Mikroskopaufnahme eines Zellengewebes zu handeln. Doch beim Nähertreten löst sich das wurlige Gewirbel in einzelne, kleine Szenen auf. Winzige Menschen tanzen, springen, fahren Rolltreppen oder machen irgendetwas anderes. Daneben wiegen sich Pflanzen im Wind, gluckert und strömt Wasser.

Zeit sollte man mitbringen in die Regensburger Sonderausstellung des Medienkünstlers und Bildhauers Jakub Nepraš, der in Prag lebt und arbeitet. Es dauert, bis man die vielschichtigen Mechanismen, die interaktiven Bezüge zwischen all diesen Wimmelbilder entschlüsselt, die der Künstler digital zu einer Art von lebendigem Superorganismus verschmolzen hat.

Jede einzelne Videosequenz, die er verwendet, hat er selbst gefilmt. An seine Themen tastet er sich eher intuitiv heran, schafft es aber auf eine sehr amüsante Art, in seinen Installationen komplexe Zusammenhänge anschaulich darzustellen. Im "Fossil" (2007) spült er tausende Menschlein aus einer rot pulsierenden Schlagader auf einen grünen Planeten. Doch irgendwann werden es zu viele, das Gleichgewicht gerät aus den Fugen, der Planet stirbt. Was von ihm bleibt, ist ein schwarzer fossiler Abdruck.

In seinen frühen Arbeiten begnügte sich Nepraš mit Videomalereien, doch inzwischen verknüpft er sie mit Objekten. Ein Beispiel dafür ist das Herzstück der Ausstellung, die aus Holzgestellen und Plexiglas gefertigte Skulptur "The Moth" (2011), ein Falter mit geschlossenen Flügeln. Die Kuratorin Gabriela Kašková entdeckte das seltsame Tier unter der Karlsbrücke während des Signal-Festivals in Prag. Ihrer Begeisterung für die ungewöhnliche Videokunst verdankt sich die Schau, die sie in Kooperation mit dem Künstler erarbeitet hat. Mit Sicherheit ein aufwendiges Unterfangen, denn Nepraš legt großen Wert darauf, Decken und Wände durch Licht- und Schattenspiel einzubeziehen und Rauminstallationen zu erstellen.

Auch am Falter erkennt man erst nach einer Weile, was sich in unregelmäßigen Intervallen über das Muster der Flügel ergießt: Prager Straßen und Gebäudefassaden, aber auch Souvenirs wie die auf der Karlsbrücke so beliebte Clownmarionette - eine witzige Anspielung auf die Touristenmassen, die ständig über die Prager Innenstadt hinweg schwappen und sie zur Kulisse degradieren.

"Invisible Outer Space", so der Titel der Ausstellung, zeigt eine Auswahl aus Nepraš' Schaffen von 2007 an: sieben Videoskulpturen, drei Animationen sowie mehrere Zeichnungen, darunter Skizzen, die ein mehrstöckiges Baumhaus zeigen. Das fragile Gebilde wirkt, als wäre es aus Bambusstäben errichtet. Es existiert wirklich in der Nähe von Prag. Nepraš, 1981 geboren, begann als Zehnjähriger mit dessen Bau und setzt das Projekt bis heute fort, betreibt darin inzwischen ein offenes Atelier - den Falter jedenfalls baute er dort. Inzwischen hat er sich, zumindest in den Zeichnungen, zu seinem Nest ein ganzes Dorf dazu fantasiert, mit Internetcafé und einem bequemen Drehstuhl auf der Spitze seines Baumhauses.

Mit den ersten Hauszeichnungen bewarb er sich seinerzeit an der Akademie, wurde genommen und studierte - das lag wohl am Hochhaus - erst im Atelier für Monumentalkunst und wandte sich später den Neuen Medien zu. Inzwischen hat er nicht nur beides in seinem Werk vereint, wie seine monumentalen Videoskulpturen zeigen, sondern er hat auch bereits eine Reihe von Preisen für seine Arbeiten erhalten, etwa den Essl-Art-Award für junge Kunst aus Mittel- und Südosteuropa.

In den jüngeren, deutlich subtileren Werken greift er verstärkt nach natürlichen Materialien, verwendet Holz, Rinde, Steine und Pflanzensamen. Thematisch beschäftigt er sich verstärkt mit der evolutionären Anpassung, interessiert sich für die Frage, wie die ersten Lebensformen entstanden sind. Er projiziert mikroskopische Aufnahmen primitiver Lebewesen auf einen Kristall oder einen Stein, ergänzt sie durch andere Elemente - es entsteht eine Formenvielfalt, die an eine Unterwasserlandschaft erinnert. Einerseits sicher Ausdruck seiner Bewunderung für die Schönheit der Natur, andrerseits wirft er damit auch die Frage nach den künstlichen Eingriffen in der Gentechnik auf.

Ein richtiges Kommunikationsnetz hat er in "Meadow" (2011) aufgebaut. Denn die Steine, die er in zwei hintereinander hängende Plexiglasscheiben eingeschmolzen hat, kommunzieren miteinander, schicken sich farbige Botschaften, kleine Zeichen, die verändert weitergesendet werden. Erinnert ein wenig an das Prinzip der "Stillen Post", wobei nicht Verfälschung, sondern Veränderung das Thema ist. Auf jeden Fall aber gelingen ihm faszinierende Experimente mit den verschiedenen Ebenen der Kommunikation.

Jakub Nepraš: Invisible Outer Space, bis 25. März, Kunstforum Ostdeutsche Galerie, Regensburg

© SZ vom 04.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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