Ausstellung:Die Heimatmaler

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Constantin Gerhardinger widmete sich oft bäuerlichen Sujets wie in "Mutter und Tochter mit Kleidertruhe". Er selbst nannte sich "Bauernmaler". (Foto: Martin Weiand)

Die Städtische Galerie Rosenheim beschäftigt sich mit Kunst zur NS-Zeit und der eigenen Geschichte

Von Yvonne Poppek, Rosenheim

1932 zog der "Bauernmaler" Constantin Gerhardinger von München nach Törwang. "Er wurzelte tief in dem Saft und Kraft gebenden Boden; hier gedeihte Gerhardinger zu einer kernigen Tanne, die schnell alle Wipfel überragte", heißt es in einem Porträt auf der Homepage der Stadt Rosenheim. 1968 ernannte die Stadt Gerhardinger zum Ehrenbürger. Seine Werke - meist großformatige Ölbilder mit landschaftlichen und bäuerlichen Sujets des Chiemgaus - sind heute noch in öffentlichen Gebäuden zu sehen, 150 Gemälde und Grafiken gehören als Stiftung der Städtischen Galerie Rosenheim. 1970 starb der Maler als geschätztes Mitglied der Gesellschaft.

Dass Gerhardingers Werke aktuell in einer Ausstellung der Städtischen Galerie Rosenheim gezeigt werden, dürfte vor diesem Hintergrund zunächst nicht ungewöhnlich erscheinen. Neu und in vielerlei Hinsicht erhellend ist allerdings der Kontext, in dem etwa sein "Selbstporträt in meinem Herrgottswinkel", das Kleinformat "Hände" oder das Porträt seiner Frau im bäuerlichen Sonntagsstaat zu sehen sind: Zu ihrem 80. Geburtstag widmet sich die Städtische Galerie ihrer eigenen Entstehungsgeschichte und dem Wirken von Künstlern aus der Region zur NS-Zeit.

Viele Künstler aus der Rosenheimer Gegend waren in der NS-Zeit erfolgreich

"vermacht. verfallen. verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus" heißt die Schau. Und sie rückt einen bislang eher zurückhaltend betrachteten Teil von Gerhardingers Vita in den Fokus: 1938 ist Gerhardinger einer von neun Malern, die von Hitler den Titel des Akademieprofessors verliehen bekommen. Von 1937 bis 1943 stellt er 25 Werke auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München aus, meist bäuerliche Genreszenen. Zu den Käufern zählten auch Hitler und Goebbels.

Der "Bauernmaler" ist nun nicht der einzige Künstler aus der Rosenheimer Gegend, der zur NS-Zeit Erfolge verzeichnen konnte. Tatsächlich zeigt die Ausstellung, dass ein überraschend hoher Anteil aus diesem Landstrich kommt. Hans Müller-Schnuttenbach und Anton Müller-Wirschin zählen etwa zu den Malern, deren Werke mit am häufigsten für die Große Deutsche Kunstausstellung, der wichtigsten Kunstausstellung des "Dritten Reiches", von einer Jury ausgewählt wurden. Dabei ist bei beiden keine stilistische oder thematische Anpassung an die NS-Kunstideologie zu bemerken. Zu ihrem Repertoire gehören Porträts, Stadtansichten, Landschaften und Stillleben.

Die klare, an Erkenntnissen reiche Rosenheimer Ausstellung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Punkte aus den Künstlerbiografien schlicht zu dokumentieren. Nüchtern gehaltene Tafeln beschreiben die Lebensläufe, listen die belegbaren Fakten auf, die seit 2011 auch auf einer bildbasierten Forschungsplattform zu den Großen Deutschen Kunstausstellungen im Internet abrufbar sind. Neben diesen Informationen sind die Werke gehängt - Bilder fernab des martialisch dargestellten Heldentums - eine gebeugte, alte Frau neben einer Wiege sitzend, verschneite Landschaften, der Winter in der Au. Oft sind ihre Entstehungsdaten nicht erfasst, Motiv und Technik haben die Künstler der Zeit seltsam entkoppelt. Landschaftsdarstellungen, Blumenstillleben und Tierporträts gehörten dabei, so konstatiert die Ausstellung, zur Mehrheit der Bilder, die auf der Großen Deutschen Kunstausstellung gezeigt wurden. "Viele Künstler können deshalb ihre Karriere nach 1945 nahtlos fortsetzen."

Dies ist der eine Punkt, den die Städtische Galerie deutlich herausarbeitet, da sie sich am Exempel orientiert oder - wie es Kurator Felix Steffan formuliert - es "auf das Individuum herunterbricht". Zum anderen verweist sie darauf, dass die Kunst zur NS-Zeit tatsächlich einen blinden Fleck in Rezeption und Forschung darstellt. Dazu stützt sie sich auf aktuelle ausstellungsvorbereitende Forschungen des Instituts für Kunstgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, angeleitet von Christian Fuhrmeister. Die Forschungsergebnisse flossen in die Ausstellung und in einen umfangreichen Katalog ein, mit dem Ziel, zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit der Kunst der NS-Zeit zu ermutigen. Die Einteilung in "artige" und "entartete" Kunst, in schwarz und weiß - nach dem Krieg natürlich unter geänderten Vorzeichen - habe die Forschung in einem Bereich begünstigt, im anderen erschwert bis unmöglich gemacht, betonen die Wissenschaftler an mehreren Stellen. "Es ist Zeit, den großen weißen Fleck in der Mitte des 20. Jahrhunderts anzugehen", schreibt Fuhrmeister.

"vermacht. verfallen. verdrängt" ist insofern als ein Impulsgeber zu verstehen, so wie vergleichbare Ausstellungen in Deutschland aus den vergangenen Jahren. Dazu zählt etwa die Wanderausstellung "Artige Kunst", die derzeit in der Ostdeutschen Galerie in Regensburg zu sehen ist. Dass die Rosenheimer Schau zudem die Entstehung der Galerie in der NS-Zeit reflektiert und auch die Sammlungsgeschichte beleuchtet, ist ein zusätzlich spannender Randaspekt.

Der Wiedereinstieg in den Kunstbetrieb der Nachkriegszeit verlief oft rasch

Gerhardinger wurde 1943 der Professorentitel aberkannt, er erhielt Ausstellungsverbot. Der Grund: Er hatte beschlossen, aus Furcht vor den Angriffen auf München und dem etwaigen Verlust seiner Werke, keine Bilder für die Große Deutsche Kunstausstellung einzureichen, und wurde deshalb des Defätismus bezichtigt. Ein Umstand, der ihm später half, rasch in den Kunstbetrieb wieder einzusteigen. Doch die Erinnerung an seine Karriere war nicht getilgt. So existiert ein Antrag an die Mitgliederversammlung des Kunstvereins Rosenheim von 1971, in dem es heißt: "Es darf schließlich auch nicht vergessen werden, dass Gerhardinger zu einer Zeit zum Professor an der Münchener Akademie ernannt wurde, als ein Karl Caspar seine Professur verlor, von Maxon Bilder verbrannt wurden und die gesamte künstlerische Elite Deutschlands auf irgendeine Weise verfolgt wurde." Das Zitat ist Teil der Rosenheimer Ausstellung, die ebenfalls gegen dieses Vergessen arbeitet.

vermacht. verfallen. verdrängt. Kunst und Nationalsozialismus, bis 19. November, Städtische Galerie Rosenheim

© SZ vom 27.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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