Ausstellung:Der Heimkehrer

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Der Objektkünstler und Münchner Akademieprofessor Stephan Huber stellt zum ersten Mal in seiner Geburtsstadt Lindenberg aus, die er vor mehr als 40 Jahren im Unfrieden verlassen hat

Von Sabine Reithmaier

Heimkommen ist manchmal gar nicht so einfach. Stephan Huber jedenfalls findet es ziemlich schwierig. Eine "psychologische Blutgrätsche" sei das, sagt der Objektkünstler und Münchner Akademieprofessor. Er blickt sich im Ausstellungssaal um. Hier ist er schon als Kind herumgelaufen, sein Vater war einer der fünf Besitzer der ehemaligen Hutfabrik Ottmar Reich, die heute das Hutmuseum in Lindenberg beherbergt.

Huber hat die Kleinstadt im Allgäu 1971 verlassen, direkt nach dem Abitur und "im Unfrieden". Jetzt stellt er zum ersten Mal hier aus. Es verblüfft ihn, wie sehr die Lindenberger daran Anteil nehmen. "Das berührt mich sehr." Mehr als der Raum im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt, der ihm seit Mai gewidmet ist. "Auf den bin ich stolz. Aber das hier, das geht mir nahe." Der 64-Jährige schaut durch die Fabrikfenster. Dort, wo jetzt schmucke Häuser stehen, blickte er in den Sechzigerjahren auf eine verrußte Arbeitersiedlung. Im Saal hat er noch die "irre vielen Menschen" vor Augen, die nassen Filz über heiße Eisen stülpen mussten und von der Maloche deformierte Finger hatten.

Der Industriellensohn wohnte in bester Lage auf dem Nadenberg. Von der Hutfabrik blieb er deshalb nicht verschont, denn deren finanzielle Probleme waren das tägliche Mittagessenthema. "Es gab nichts anderes seit meinem zehnten Lebensjahr." 1997 ging die Fabrik pleite, aber da war Huber schon lange weg, hatte Kunst und Germanistik studiert und begonnen, sich an seinen Erinnerungen abzuarbeiten. Davon zeugt die "Ich-Kuppel" von 1999. Wer sich unter den überdimensionierten Hut stellt, setzt sich einem prasselnden Wechselbad elterlicher Ermahnungen aus. "Mit dir wird es schlimm enden" und "Du schaffst es nie" heißt es da, aber auch "Du enttäuscht uns nie" und "Wir lieben dich". Eine Kindheit in einer Zeit, in der nicht geredet, sondern erzogen wurde. Es blieb nichts anderes übrig, als dagegen zu rebellieren. Vor allem gegen die Lehrer, darunter noch viele Alt-Nazis.

"Meine Parallelwelten entstanden in der Enge des damaligen Lindenbergs", sagt Huber. Im Lateinunterricht, wo er statt Vokabeln zu lernen, sich lieber in den Diercke-Weltatlas vertiefte, vorzugsweise in Tundra, Taiga oder das Amazonasgebiet reiste. "Das war meine Rettung." Er fantasierte sich eine riesige grüne Eisenbahn, die in orientalische Städte fuhr, Orte, deren Namen ihn inspirierten. "In der Realität waren sie vielleicht ganz trostlos."

Aus seiner Leidenschaft für Karten ist Kunst geworden. Seit Jahren zerschneidet er mit der Nagelschere Diercke- oder besonders exakte amerikanische Militärkarten und setzt sie mit Fotos, Gemäldeausschnitten, Stadtplänen, Logos, U-Bahnplänen, Texten zu großen Collagen zusammen. Es ist ein großes Vergnügen, sich auf die hintersinnig-verschmitzt gestalteten Welten einzulassen und sich in den Geschichten zu verlieren. In dem riesigen Werk "Alte Welt - Neue Welt", 2009 entstandenen "Psychogeografien", analysiert Stephan Huber den Wandel der Weltordnung nach Ende des Kalten Krieges. Aus seiner subjektiven Sicht: Da gibt es "Aufstandsinseln", ein "Areal, in dem Menschen wohnten, die an den kontinuierlich vertikalen Fortschritt der Gesellschaft glaubten", aber auch ein "Hafenareal für überforderte Weltbürger" oder einen "Stock Market Airport", zuständig für globale Geldströme.

Irgendwo sei das Kartografieren für ihn ein Ordnen der Welt, sagt Huber. "Wenn ich keine Karten mehr hätte, würde ich irgendwann nicht mehr durchblicken und viel vergessen." So aber ist alles festgehalten in seinen enorm komplexen Systemen. Dass es unmöglich ist, alles zu entziffern und aufzunehmen, stört Huber nicht. "Ich kann anfangen, mich wo reinzulesen, das muss ich nicht kapieren." Jede Karte hat ihre eigene Ästhetik, manche sind fast monochrom, andere bunt und kleinteilig.

Einige kleinformatigere Karten hat er eigens für die Ausstellung gefertigt. In den Allgäuer "Badlands" spürt er negativen Erlebnissen wie prügelnden Lehrern oder dem drohenden Rauswurf aus der Schule nach, in den "Höhenwegen" setzt er der bildenden Kunst und Literatur, allen voran W. G. Seewald, ein Denkmal. Realität und Fiktion überlappen sich ständig. Unverwechselbar auch sein Witz, seine barocke Lebensfreude. "Ohne Humor geht es nicht, das könnte ich nicht ertragen, da bin ich zu katholisch", sagt er.

Die Mitte des Saals nehmen die Berge ein, ein Werkkomplex, der Huber genauso wichtig ist wie die Karten. Die maßstabsgetreue Modelle in Dentalgips brechen aus Stelen hervor, jeweils drei berühmte Gipfel aus diversen Ländern nebeneinander. "Irgendwann wollte ich eine Skulptur machen, die nicht kritisierbar ist", sagt Huber. "Das geht nur über eine Naturform."

1996 schuf er seine ersten Berge; die weißen Miniaturen stehen in einem überdimensionierten Regal vor der Neuen Messe in München. Und seitdem immer wieder. Aber mit den Bergen verhält es sich genauso wie mit den Karten: Hubers Bearbeitungen übertreffen die Wirklichkeit locker. Jeder Berg hat wenigstens eine Seite, die er so modelliert, wie er sie besser findet. Was gelegentlich für Verwirrung sorgt, jedenfalls bei Bergkennern wie Reinhold Messmer, der zwar auf der Vorderseite des Antelaos (Dolomiten) seine Klettertouren nachvollziehen konnte, aber auf der Rückseite den Weg nicht fand. "Bisschen Dramatik und Überwältigungsstrategie muss schon sein, ich arbeite ja nicht für ein naturhistorisches Museum."

Assoziationsreich sind auch die anderen Installationen: Ein roter Obelisk, den er in eine prächtige Obstkupferschale seiner Oma eingebaut hat, wird ihm zum Fabrikschornstein; aus einem zitronengelben Stadel, der früher in der Nähe seines Elternhaus stand, tönen Fragmente aus Nietzsches "Zarathustra". Allerdings im Allgäuer Dialekt. Oben auf der Galerie läuft Hubers "Love and Peace", ein verfilmtes Puppenspiel, in dem er die Helden seiner Jugend verewigt, den LSD-Papst Timothy Leary, Andy Warhol, aber auch die mörderische Charles-Manson-Family. Und es ist beeindruckend zu sehen, wie sich aus der heiteren Flower-Power-Bewegung eine faschistische Gruppe entwickelt.

Wie er Lindenberg heute findet? Stephan Huber überlegt. Ganz anders, sagt er dann. Viel offener, gar nicht mehr eng. Heimkommen ist eben doch ganz schön.

Stephan Huber. Zarathustra im Zitronenstadel ; Kulturfabrik und Deutsches Hutmuseum in Lindenberg; bis 28. Oktober

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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