Ausstellung:Betörend verstörend

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Henning Wagenbreths Blick auf Berlin wirkt im ersten Moment hübsch naiv und schön bunt, ist aber dann doch nicht ganz so harmlos. (Foto: Olaf Gulbransson Museum)

Das Olaf-Gulbransson-Museum in Tegernsee stellt die Arbeiten des Berliner Illustrators und Comic-Künstlers Henning Wagenbreth vor

Von Jürgen Moises

Was, wenn Napoleon noch lebt? Und zwar in einer Katakomben-Welt unter St. Helena, in welcher der totgeglaubte Kaiser über eine technisierte Diktatur samt geheimer Armee herrscht. Genau das wird jedenfalls in "Das Geheimnis der Insel St. Helena" offenbart. Einer absurd-grotesken Mär, die 2002 in der Reihe "Die tollen Hefte" erschienen ist und von Henning Wagenbreth kongenial illustriert wurde. Schräge Figuren wie einen französischen Zombie-Kaiser, dem Würmer aus Kopf und Kragen kriechen, in eine labyrinthische Comic-Bilderwelt zu setzen - das ist tatsächlich so etwas wie die Paradedisziplin des Berliner Illustrators und Comic-Künstlers Wagenbreth, dem das Olaf-Gulbransson-Museum in Tegernsee derzeit eine kleine, feine Werkschau widmet.

Was die Arbeit des 1962 in Eberswalde geborenen und in der DDR ausgebildeten Diplomgebrauchsgrafikers ebenfalls auszeichnet, das ist eine permanente Suche nach neuen, künstlerischen Ausdrucksformen. Diese haben im europäischen und asiatischen Holzschnitt ihren Hintergrund sowie in einer ostdeutschen Illustratoren-Tradition, die ein besonderes Bewusstsein für manuelle und industrielle Drucktechniken besitzt. Nur, dass Wagenbreth beides mit der Subversion des amerikanischen Underground-Comics verbindet, mit welcher der 53-Jährige Anfang der Neunziger infiziert wurde. Und dass er in seinen Bilderkosmos auch unsere digitale Gegenwart ästhetisch und technisch einbindet. Ein Beispiel dafür ist etwa die Kurz-Comic-Serie "Plastic Dog", die der im Studiengang Visuelle Kommunikation an der Berliner Universität der Künste lehrende Wagenbreth im Jahr 2000 entwickelt hat. Diese messerscharf humorvollen Beobachtungen aus der High-Tech-Welt sind nicht nur optisch von einer 8-Bit-Computer-Ästhetik geprägt, sondern sie wurden als downloadbare "elektronische Comic Strips für Taschencomputer" entwickelt.

Ein weiterer Beleg für die technische Experimentierfreudigkeit des mehrfach preisgekrönten Künstlers ist das Illustrationssystem "tobot", das neben Plakaten, Grafiken, Büchern und Briefmarken ebenfalls in Tegernsee gezeigt wird. Und das, halb Spielzeug, halb Roboter, Wagenbreths grafische Kunst ins Dreidimensionale überführt. Dessen Versuch, die eigene Zeichenwelt über die Papier- oder Buchdeckel-Grenzen auszuweiten, erinnert an den amerikanischen Comic-Kollegen Chris Ware, mit dem Wagenbreth außerdem einen sofort wiedererkennbaren Zeichenstil gemein hat. Einen Stil, der auf den ersten Blick sehr bunt, fast plakativ oder naiv wirkt, der in Verbindung mit Themen wie Mord und Totschlag und mit zivilisationskritischen Momenten aber auch ein verstörendes Potenzial hat.

Den Betrachter zu stören, damit es sich dieser in der Welt nicht allzu gemütlich einrichtet, genau das will Wagenbreth auch mit seinen Arbeiten erreichen. Wer also merkt, dass er die Feiertage über in eine Gemütlichkeitsfalle hineinrutscht, dem sei danach ein Ausflug an den Tegernsee sehr nachdrücklich empfohlen.

Henning Wagenbreth, bis 29. Januar, Olaf-Gulbransson-Museum Tegernsee, Im Kurgarten 5, www.olaf-gulbransson-museum.de, 080 22/33 38

© SZ vom 24.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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