Auf DVD: "Die Reise ins Glück":In der Gehirnwaschanlage

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"In schöner Umgebung wird 90 Minuten Scheiße gelabert": Bei Wenzel Storchs psychedelischem Märchenfilm "Die Reise ins Glück" sind Schwindel und Übelkeit nicht ausgeschlossen. Mit Video.

Maria Holzmüller

Schon mal im Schleudergang einer Waschmaschine durch ein Schneckenhaus in die Gehirnwäsche gerattert? Nein? Dann sollten Sie ernsthaft darüber nachdenken, sich den neuen Wenzel-Storch-Film "Die Reise ins Glück" zu Gemüte zu führen. Betrachter dürfen allerdings keine Platzangst oder Schneckenphobie haben, sich nicht vor triefenden Gehirnen ekeln und sollten sich auch sonst auf ein paar gewöhnungsbedürftige Kleinigkeiten einstellen: Bären spielen Klavier, Propagandaminister pinkeln auf Kinder und Schnecken vergewaltigen Kirchen. Ist die Play-Taste des DVD-Spielers einmal gedrückt, gibt es so schnell kein Entrinnen mehr.

"Ein psychedelisches Abenteuermärchen nach Jules Verne": Wenzel Storchs "Die Reise ins Glück". (Foto: Foto: www.wenzelstorch.de)

Als "risikofreier LSD-Trip für den Preis einer Kinokarte" wurde der Film in der Presse beschrieben. Den Arzt oder Apotheker sollte man trotzdem fragen, vor dem ersten Ansehen, und zwischendurch regelmäßig den Blutdruck messen. Denn die Folgen sind, wie bei Drogen so häufig, nicht abzusehen. Übelkeit, totale Euphorie, Ratlosigkeit oder erdrückende Müdigkeit sind nur einige der Symptome, die auftreten können. Möglicherweise wurde der Film deshalb nur sehr vereinzelt in deutschen Kinos und auf ausgewählten Filmfestivals gezeigt. Der Großteil des Publikums musste das jetzige Erscheinen der DVD abwarten.

Angesiedelt in einer bonbonfarben-samtenen Märchenoptik zwischen opulentem Rokoko und lautem Expressionismus kämpft Protagonist Kapitän Gustav gegen einen despotischen Inseldiktator, einst ein Freund aus Kindertagen, den er vor dem Ertrinken gerettet hat.

So simpel die Geschichte klingt, so wirr und abgedreht präsentiert sie sich. Neben den beiden Antagonisten gibt es noch Gustavs Frau Eva und die fünf gemeinsamen Kinder, ein riesiges Schneckenschiff, einen Bären als ersten Offizier, eine Handvoll abenteuerlustiger Frösche, ein notgeiles Kaninchen, knapp bekleidete Eingeborene, in die Jahre gekommene Prostituierte und Königslakaien mit Blasenschwäche. Sie alle torkeln, rennen oder rollen durch eine Kulisse, die alle der Menschheit bekannten Drogenräusche übertrifft. Und alles schwimmt in einer bunten Suppe aus Körperflüssigkeiten.

Ein "psychedelisches Abenteuermärchen nach Jules Verne" sollte sein Film werden, sagt Wenzel Storch im Gespräch. Aber es gibt noch eine andere Beschreibung, mit der er sich anfreunden kann: "In schöner Umgebung wird 90 Minuten lang Scheiße gelabert."

Eine spannende Handlung darf der Zuschauer demnach nicht erwarten. "Die Reise ins Glück" ist nach "Der Glanz dieser Tage" (laut Regisseur "ein katholisches Wunderland") und "Der Sommer der Liebe" (eine Hommage an die siebziger Jahre) der dritte Film mit Jürgen Höhne in der Hauptrolle, einem pensionierten Tanklastwagenfahrer aus der Nähe von Hannover.

In allen Wenzel-Storch-Filmen spielen ausschließlich Laiendarsteller, anfangs aus finanziellen Gründen, heute aus Tradition. "Jürgen Höhne hat einmal zugesagt, da wäre es bescheuert, ihn wieder loszulassen", sagt Wenzel Storch über seinen gemütlich-korpulenten Hauptdarsteller. Den Text besprechen die beiden kurz vor Drehbeginn am Set. "Professionelle Schauspieler wie eine Franka Potente würden in so einen Film überhaupt nicht reinpassen", sagt Wenzel Storch. Professionelle Tiere dagegen schon.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was ein aphrodisierendes Gesöff am Ende des Films anrichtet, und sehen Sie den Trailer zu "Die Reise ins Glück".

Die dressierten Bärenzwillinge Gipsy und Nora teilen sich sie Rolle des ersten Offiziers, die Frösche, eine Eule und die Gottesanbeterinnen kommen aus der Filmtierzentrale Hamburg. Nur das Kaninchen ist ein Laie, es wurde kurzerhand in der Zoohandlung gekauft. So unkonventionell Wenzel Storch als Filmemacher ist, dem Rezept "Tiere ziehen immer" vertraut auch er. Allerdings mehr aus persönlicher Vorliebe als aus kommerzieller Berechnung: "Dann müsste ich ja sowieso einen ganz anderen Film machen."

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Spritzender Magensaft

Trotzdem sind die Tiere das einzige Konzept des Filmes, das aufgeht - zum Teil jedenfalls. Wenn der erste Offizier orientierungslos durch die Landschaft streift, auf der Suche nach Honig und nach dem im Propellerfahrzeug entflogenen Kaninchen, sieht das nicht nur witzig aus: Durch Harry Rowohlts charmant-brummige Synchronisation wächst einem der Offiziersbär fast ein bisschen ans Herz. Fast. Denn bevor es wirklich so weit kommt, lässt Wenzel Storch ihn in die Kamera erbrechen und die Magensäfte spritzen ähnlich großzügig durchs Bild wie der Urin der Lakaien des feindlichen Königs oder das Sperma diverser anderer Akteure.

Spätestens wenn gegen Ende des Films noch ein aphrodisierendes Gebräu - selbstverständlich in braun-rötlicher Matschoptik - ins Spiel kommt, und das Schneckenboot von Kapitän Gustav ein kleines leuchtendes Kirchlein am Wegesrand vergewaltigt, oder die Königslakaien in einer beinahe minutenlangen Einstellung die fünf Kinder des Kapitäns bepinkeln, möchte man am liebsten ausschalten, auftauchen aus dieser skurril-stickigen Filmblase und einfach mal frische Luft schnappen.

Gleichzeitig ähnelt "Die Reise ins Glück" tatsächlich einem Rauscherlebnis, es lässt einen nicht los, auch wenn die Halluzinationen langsam zu Albträumen werden. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem man eigentlich genug gesehen hat und sich beinahe eine Gehirnwäsche in der Art wünscht, wie sie im Film zu sehen ist. "Würden sie mit so was Schmuddligem rumlaufen?", fragt da eine burschikose Waschfrau über einem schleimigen, frisch aus dem Schädel entnommenen Gehirn und steckt es prompt in die Waschmaschine.

Musste das sein?

Zehn Jahre arbeitete der Hildesheimer Wenzel Storch an seiner "Reise ins Glück". Immer wieder stand die Finanzierung auf der Kippe - und immer wieder ging es irgendwie weiter. Die Redaktion des Satire-Magazins Titanic, die Storch als "besten Regisseur der Welt" betitelte, setzte sich für den Film ein, eine Reihe von Benefiz-Lesungen mit Max Goldt oder Wiglaf Droste brachten das nötige Kleingeld. Die gesamte Kulisse wurde aus alten Landmaschinenteilen selbst gebaut, Harry Rowohlt willigte ein, den ersten Offizier umsonst zu synchronisieren ("Am Ende der zwei Tage hat er dann doch geflucht.") und auch Max Raabe, der Wenzel Storch zunächst eine Abfuhr erteilt hatte, ließ sich am Ende dazu überreden, den "Tellerlip-Song", den die Kapelle der Eingeborenen im Film anstimmt, beizusteuern.

Das Engagement und die Leidenschaft aller Beteiligten in Ehren - am Ende, nachdem der feindliche König mit Hakenkreuzbinde über eine Kaninchenzeitmaschine entflohen ist, steht die Frage, die sich nach jedem Exzess einstellt: War das jetzt wirklich nötig?

Die DVD "Die Reise ins Glück" inklusive einer ausführlichen Making-of-Dokumentation ist ab März bei Cinema Surreal erhältlich.

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