Audiobook:Britischer Chorgesang

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(Foto: oh)

"Moby Dick The Big Read" wurde von Männern und Frauen eingesprochen. Darunter sind bekannte Schauspieler wie Tilda Swinton.

Von Lothar Müller

Große Romane sind ein Prüfstein für ihre Leser. Und wenn aus den Lesern Vorleser werden, dann sind sie ein Prüfstein für ihre Stimmen. Vor einigen Jahren startete die Universität Plymouth ihr Projekt, jedes Kapitel des Romans "Moby Dick" von einem anderen Sprecher einlesen zu lassen. Das Audiobook "Moby Dick The Big Read", das daraus hervorging, ist reizvoll nicht zuletzt deshalb, weil hier der Inbegriff der "Great American Novel" von einem Chor vor allem britischer Stimmen vorgetragen wird (http://www.mobydickbigread.com). Es ist ein Chor von Männer- und Frauenstimmen, und auch das ist reizvoll, weil die "Moby Dick"-Welt einschließlich ihres Erzählers eine Männerwelt ist. "Call me Ishmael" - die schottische Schauspielerin Tilda Swindon huscht in den großen Roman hinein wie eine Maus in eine offene Ladeluke, und wahrscheinlich zwinkert sie bei dieser hingetupften Version des berühmten Anfangskapitels mit den Augen. Nicht alle Stimmen sind berühmt, nicht alle gehören zu Schauspielern, es sind auch Filmemacher, Wissenschaftler, Dichter und Romanautoren dabei. Zum Beispiel Will Self, der das 42. Kapitel liest, "The Whiteness of the Whale". Seine gehört in die Kategorie "breiter Brustkorb". Das bekommt der Unheimlichkeit, die in diesem Kapitel die Farbe Weiß einhüllt wie eine Nebelwand, ziemlich gut, und das Refrainwort "though" tutet in Will Selfs Brustkorb wie ein Nebelhorn. Eine Posaune des Jüngsten Gerichts wünscht man sich für David Cameron, der, als er das Kapitel "The Pipe" einlas, noch Premierminister war und trotz seines Untergangs Ahab nicht gewachsen ist. Der Schauspieler Benedict Cumberbatch widmet sich der Satzbaukunst des Romans so hingebungsvoll wie dieser selbst dem Skelett des Wals. Die irische Schauspielerin Fiona Shaw macht das "Postscript" über das Walöl und die Salbung der Könige zu einem Kabinettstück in Englishness. Der große amerikanische Roman entfaltet das britische Stimmenspektrum. Das letzte Wort aber hat im Epilog, wie es sich gebührt, die amerikanische Poetin Mary Oliver.

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