"Atmen" im Kino:Arbeitgeber Tod

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Über den Tod zurückfinden ins Leben: In Karl Markovics' vitalem Regiedebüt "Atmen" gelingt dem jugendlichen Straftäter Roman ausgerechnet als Leichenbestatter die Resozialisierung. Die letzte Station im Leben einer Frau wird zu seinem Erweckungserlebnis.

Fritz Göttler

Wenn Roman Kogler loszieht in der Früh, ist es noch dunkel, er hat ein gutes Stück zu laufen bis zum Bahnhof, der Zug in die Stadt fährt dann durch einen Zauberwald, man sitzt im Abteil und träumt, eine Bewegung, von der man hofft, dass sie nie enden möge. In der Stadt geht es dann zum neuen Arbeitsplatz, "Bestattung Wien", wo alles erledigt wird, was bei den "letzten Dingen" anfällt, Leichentransport und -lagerung, Abtransport von Unfalltoten, Aufbahrung, Beerdigung.

Der Wärter ist sein Kumpel: Roman Kogler (Thomas Schubert, links) in der Sonderstrafanstalt für Jugendliche.   (Foto: dpa)

Roman ist achtzehn, er sitzt in der Sonderstrafanstalt für Jugendliche, er hat einen anderen getötet, da war er vierzehn. Es ist eine eigentlich ganz zivile Anstalt, die Jungen dürfen ihre Zellen individuell und verrückt gestalten, der Wärter ist ihr Kumpel und tauscht sich mit ihnen aus über das Schicksal ihrer Fußballmannschaften und andere Probleme.

Dem Freigang kann Roman nichts abgewinnen, ihm ist die Zelle der einzige Freiraum, ein Foto, das er aus einem Reisemagazin ausschneidet und an die Wand pinnt, genügt ihm zum Blick in die Welt.

Karl Markovics kennt man als Schauspieler aus Stefan Ruzowitzkys "Die Fälscher", er hat außerdem gedreht für Wolfgang Murnberger ("Komm süßer Tod") und Joseph Vilsmaier ("Die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff" und "Nanga Parbat") und mit Liam Neeson ("Unknown Identity"), Filme, die geprägt sind von Melancholie oder Hoffnungslosigkeit oder Zynismus.

Für seine erste Regiearbeit hat er sich eine ungewöhnlich gelassene Geschichte ausgesucht, einen Gefängnisfilm in Cinemascope. Der Himmel ist zwar oft grau, aber es gibt viele Türen und Mauern, die hellblau gestrichen sind. Wenn Roman ganz bei sich sein will, springt er ins Schwimmbad der Anstalt und würde am liebsten nicht mehr nach oben kommen aus dem sanften Blau. Der Film lief im Frühjahr im sonnigen Cannes in der "Quinzaine des Réalisateurs".

Ein kaltes Geschäft

Thomas Schubert spielt den Roman, ein Nichtprofessioneller, mit ausdruckslosem Gesicht, aber Augen, die ganz groß werden können, wenn er schaut. Immer in Rückzugsstellung, er muss lernen, den Blick nicht abzuwenden, die Blicke der anderen auszuhalten und zu kontern. Aus den Augenwinkeln kriegt man mit, wie die Kollegen bei ihrem ungewöhnlichen Job den Kontakt zum Leben halten, der Rudi zum Beispiel, ein junger Unwirscher, der einen zweistufigen, ziemlich kurzen, aber dennoch schnittigen Haarschnitt pflegt und auf einem roten Motorrad zur Arbeit kommt.

Wie war's denn, fragt Romans Betreuer, als er ihn am ersten Tag im neuen Job zum Bahnhof fährt, was hat er alles machen müssen, wie waren die Kollegen. Ich schau nur zu am Anfang, sagt Roman und schweigt, und der Betreuer resümiert: Aber sonst passt alles . . . Passt, das hat auch der Kollege gesagt, als er bei einem Toten im Sarg die letzte Check-up-Liste abhakt: Name, Geburtsdatum, Sterbedatum . . . Und, weil's ein Christlicher war, wird ihm ein Kreuz zwischen die übereinander gelegten Hände gesteckt. Passt.

Der Tod als Arbeitgeber, hat Markovics seine Geschichte beschrieben. Es ist ein kaltes Geschäft, aber eine Kälte, die nicht verletzt. Kälte gewissermaßen als ein Teil davon, Waschtanks, Aluminiumfächer und -tragen und -särge zum Verstauen der Leichen.

Sinnloser Luxus des Lebens

Der Umgang mit den Toten ist nüchtern und professionell - "Zwei neue haben wir", heißt es bei der Ablieferung in einem Seziersaal, "kommt was retour?" -, respektvoll und routiniert. Was sich auch auf den Zuschauer überträgt - man fängt schnell an wahrzunehmen, wenn der Kopf eines Toten auf dem Kissen verrutscht ist, darauf zu achten, ob die Griffe sitzen, mit dem die Männer anpacken, an den Armen, am Gürtel, um den Toten auf die Bahre zu legen.

Die entscheidende Szene spielt in der Wohnung einer verstorbenen alten Frau. Alles schrecklich plüschiert, golden-rosa verschnörkelte Tapeten, schwere Sessel, ein Kronleuchter an der Decke - man merkt hier, angesichts des sinnlosen Luxus des Lebens, wie angenehm die Kühle und Nacktheit der Leichenhalle sind.

Der Kollege Rudi wäscht und bekleidet die Tote mit behutsamen Bewegungen, und bezieht den erst scheuenden Roman mit ein: Hilf mir mit der Bluse, einfach runterziehen . . . Georg Friedrich, einer von Österreichs sensibelsten Akteuren, spielt Rudi, und die Szene ist der Beginn einer Freundschaft, fast eine Liebesszene mit den beiden.

Ich habe schon immer mehr machen wollen als die Schauspielerei, hat Karl Markovics gesagt, meine eigenen Geschichten erzählen. Am Abend dieses Tages mit der Toten lernt Roman wieder das Leben kennen, in seiner schönsten, weil flüchtigsten Art - eine Begegnung im Zug zurück in die Anstalt, mit einer englischen jungen Touristin. Über den Tod zurückfinden ins Leben. Danach fängt Roman an, seine Mutter zu suchen, die ihn seinerzeit ins Waisenhaus gegeben hat, und sich auf die mögliche Bewährung vorzubereiten. Aber das ist dann schon wieder eine ganz andere Geschichte.

ATMEN, Österreich 2011 - Regie, Buch: Karl Markovics. Kamera: Martin Gschlacht. Schnitt: Alarich Lenz. Mit: Thomas Schubert, Karin Lischka, Gerhard Liebmann, Georg Friedrich, Stefan Matousch, Georg Veitl, Klaus Rott, Luna Mijovic . Thimfilm, 93 Minuten.

© SZ vom 08.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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