Architektur:Wie die Dinosaurier

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Auch dieses Jahr gingen die westlichen Großbaumeister bei der Verleihung des Pritzker-Preises wieder leer aus. Ist das das Ende der "Star-Architekten"?

Von Gerhard Matzig

Es war in Venedig, in der Nähe der Giardini della Biennale, wo alle zwei Jahre die wichtigste Architektur-Ausstellung der Welt zu Hause ist. Vor ein paar Jahren stand man da an einem kleinen Ausläufer der Lagune - und zwar mit Frank Gehry und seiner Frau. Am Wasser. Gehry, muss man wissen, ist ein amerikanischer Architekt, der den Begriff "Star-Architekt" notfalls auch erfunden haben könnte. Mehr Starwesen geht gar nicht. Er ist in der Bauwelt das, was der Nike-Swoosh in der übrigen Welt ist: ein strahlendes Logo seiner selbst. Weshalb die kleine venezianische Massenhysterie, die sich gleich an den Fondamenta Sant'Anna ereignen wird, auch der Markenwelt entlehnt erscheint.

Ein Trupp junger Menschen umzingelt also mit einem Mal das Ehepaar Gehry und verfällt in kollektiven Jubel. Schreie des Entzückens sind zu hören. Gehry muss dann noch etliche Autogramme geben, bis er sich endlich - nämlich wild mit den Armen rudernd - aus der Selfie-mit-Gehry-Zone am Kanalrand befreit. In diesem Augenblick muss sich der Architekt gefühlt haben wie Mick Jagger und die Beatles zusammen, und die Baukunst, diese ehrwürdig vitruvianische Mutter aller Künste, war reiner Rock 'n' Roll.

Man muss das nicht mögen, um fast ein bisschen wehmütig festzustellen: Die Zeit der Star-Architekten ist nun wohl auch schon bald vorbei - so wie die Zeit der Dinosaurier eben auch irgendwann gekommen war. Ein kometenhaftes Zeichen dieser Zeitenwende, wenn nicht des Niedergangs eines einst unfassbar glamourösen Berufsverständnisses ist der Pritzker-Preis 2018. Der wurde am Mittwoch verkündet. Die Auszeichnung, die (und auch das neigt sich vermutlich einem Ende zu) hoch dotiert mit 100 000 Dollar als zu beraunender "Nobelpreis der Architektur" gilt, geht diesmal zur Verblüffung vieler Experten an den indischen Architekten Balkrishna Doshi (SZ vom 8. März).

Doshi, ein 90-jähriger Veteran des Bauens und der Moderne, der mit Louis Kahn und sogar noch für Le Corbusier an der Verwirklichung der Planstadt Chandigarh gearbeitet hat, ist natürlich kein unbekannter Mann. Weder in der Baugeschichte noch in seiner Heimat. Dort gehören etwa die von Doshi entworfenen 6500 Wohneinheiten in Indore zu jenen staunenswerten Projekten, von denen man auch heute noch lernen kann.

Doshi entwarf eine Siedlung - so klassisch modern wie auch der landestypischen Architektursprache anverwandelt, so funktional wie auch poetisch anregend -, deren Wohnhäuser so variantenreich konfiguriert sind, dass sich darin ganz unterschiedliche Gesellschafts- und Einkommensschichten in einer idealen, heterogenen Sozialnachbarschaft sowie in den unterschiedlichsten Wohntypologien einrichten können. Das war vor bald dreißig Jahren ein geradezu seherischer Entwurf, der auch für die heutigen Wohnungs- und Stadtnöte herangezogen werden kann.

Aber es zeugt eben auch nicht von eurozentrischer oder gar hyperwestlicher Ignoranz, wenn man feststellt: Als der Name Doshi fiel, mussten hie und da erst mal die Nachschlagwerke bemüht werden. Auf dem Zettel hatte man ganz andere, populärere Figuren. Zum Beispiel so jungdynamische Star-Architekten wie Bjarke Ingels oder halbe Legenden wie Wolf D. Prix und Daniel Libeskind.

In aller Bescheidenheit: Die Autorität der Raumdeutung ist nicht zu ersetzen

Die Exotik des aktuellen Bau-Nobelpreises erinnert an den Pritzker-Preis im letzten Jahr, als sich die Architekturkritiker anriefen, um zu fragen: "Sag mal, kennst du die?" Gewonnen hatte, auch dies war eine Überraschung, die vor allem regional, rund um das katalanische Olot tätige Architektur-Gemeinschaft von RCR Arquitectes. Im Jahr davor, 2016, fiel der Preis an Alejandro Aravena, einen chilenischen Architekten, der eher für seine Architekturtheorie bekannt ist. Und im Jahr davor? 2015 wurde Frei Otto zum Sieger gekürt - posthum und eigentlich nicht als Architekt, sondern als Ingenieur. (Neben Gottfried Böhm, 1986, ist Otto bislang erst der zweite Deutsche, der den Preis erhalten hat.)

Man spricht angesichts dieser Entwicklung mittlerweile vom "social turn": Nachdem mit dem Pritzker-Preis seit dessen Bestehen, seit 1979, immer nur weithin anerkannte Repräsentanten des Bauens ausgezeichnet wurden, Leute wie Philip Johnson, Richard Meier, Hans Hollein, Oscar Niemeyer, Gehry, Aldo Rossi, Renzo Piano, Norman Foster oder Herzog & de Meuron (Zaha Haddid, 2004, war endlich die erste Frau, aber ebenfalls schon längst berühmt), werden nun zunehmend Architekten auserkoren, die für eine andere Art der Planung, des architektonischen Diskurses und der Bauaufgaben stehen.

Es ist eine baukulturelle Wende im Gange, die auf dem Terrain der bedeutendsten Ehrung der Architektur das nachzeichnet, was in der realen Welt des Bauens auch passiert. Man kann durchaus von einem Paradigmenwechsel sprechen, denn so scheint nun auch eine der wichtigsten Architektur-Erfindungen der Moderne, der genialisch-einsame Künstler-Architekt als Superstar der artifiziellen Formfindung, an sein Ende zu gelangen. Der Pritzker-Preis im kommenden Jahr könnte dann an die Londoner Architektengruppe Assemble gehen, die sich gar nicht mehr als Architekten im eigentlich Sinn verstehen. Sie denken eher wie Soziologen oder Streetworker und planen Häuser und Stadtviertel nur zusammen mit den Bewohnern.

Der Künstler-Architekt, der auf der Tischdecke im Restaurant mal eben eine Kathedrale (die eines Glaubens, sprich Kirche, die eines Unternehmens, sprich BMW-Welt, oder die einer Kultureinrichtung, sprich Louvre-Filiale) entwirft, war natürlich immer schon ein starkes Klischee. Aber eines, das von Generationen von Architekten emsig befeuert wurde. Unvergessen, als sich Frank Lloyd Wright, einer der Ahnherren der Moderne, vor Gericht einmal sinngemäß so auswies: "Ich heiße Frank Lloyd Wright und bin der bedeutendste Architekt der Welt." Befragt von Freunden, warum er denn immer so angeben müsse, soll er gesagt haben: "Ich konnte nicht anders, ich stand ja unter Eid."

Dieses grandiose Selbstbewusstsein eines Berufsstandes geht nun möglicherweise zur Neige. Und übrigens vermisst man auch die vor zwei Jahren verstorbene Zaha Hadid, die einen mal zur Pressekonferenz für ein paar Hundert Meter im Auto mitnahm: Es war ein goldener Rolls-Royce. Die Bilder von Norman Foster, wie er gerade aus seinem Learjet steigt, sind ebenfalls nur noch selten im Umlauf.

Nach der Herrschaft des kunstmächtigen Architekten wurden die Baumeister eher bescheidene Dienstleister und auch wieder Techniker. Inzwischen sind sie gar als Soziologen gefragt. Das ist keine falsche Entwicklung. Das Bauen wird wieder demütiger, alltäglicher, geerdeter. Gut so. Aber wenn man einige der Problembereiche der Menschheit betrachtet - Klimawandel, Verstädterung, Wohnungsnot, Krise der Mobilität -, dann wird einem auch klar, dass es vor allem ein Beruf ist, der sich am Schnittpunkt all dieser Verwerfungslinien der modernen Gesellschaft befindet: Es sind Architektinnen und Architekten, Städte- und Freiraumplaner. Unsere Zukunft ist eng verknüpft mit ihrer Plankunst. Bei aller erfreulichen Demut und gebotenen Abkehr vom Star-Nimbus: Die Autorität von Raumdeutung und Formfindung ist nicht zu ersetzen.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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