Architektur:Teezeremonie mit Godzilla

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Japans Architektur muss vieles berücksichtigen: Die Lage der Inseln im Erdbebengebiet, Landflucht, Wohnungsmangel. Die vielfältigen Entwürfe der Architekten zeigt nun die Londoner Ausstellung "Das japanische Haus".

Von Alexander Menden

Man wäre nicht überrascht, wenn ein Schild darum bitten würde, vor Betreten der Ausstellung die Schuhe auszuziehen. Beim Besuch einer japanischen Wohnung gebieten das Respekt und Sitte. Die Kerninstallation der Londoner Ausstellung "Das japanische Haus" ist ein Nachbau des sogenannten Moriyama-Hauses in Tokio, der die Atmosphäre des Originals so überzeugend ins Barbican überträgt, dass man ohne Protest auf Socken hineinginge.

Die verschachtelte Konstruktion aus zehn Pavillon-Modulen, 2005 erbaut vom Pritzker-Preisträger Ryue Nishizawa, fügt sich mühelos in den Beton der brutalistischen Ausstellungsräume ein. Verbunden durch begrünte Innenhöfe, die Treppen durch Bücherstapel unbegehbar gemacht, wirkt das Haus überraschend bewohnt: Im Fernseher läuft ein Jacques-Tati-Film, an den reinweißen Wänden lehnen gerahmte Poster (nichts wird hier aufgehängt), Topfpflanzen und Godzilla-Figuren geben dem Ganzen etwas Spielerisches. Die Beleuchtung simuliert innerhalb einer Stunde den Lichteinfall eines 24-Stunden-Zyklus.

Es gleicht einem Gang durch den Geist des Auftraggebers, Yasuo Moriyama, der seine Heimatstadt Tokio noch nie verlassen hat. Von dessen kindlicher Exzentrik bekommt man einen Eindruck, wenn man sich die Zeit nimmt, Ila Bêkas gut einstündigen Dokumentarfilm "Moriyama-san" anzuschauen. Die Offenheit der Räume, die er teils bewohnt, teils vermietet, spiegelt seine Offenheit für eine Welt, in der Noise Music, einem verstorbenen Schoßhund, Stummfilmen und Pflanzensamen gleichermaßen Bedeutung eingeräumt wird. Der Kontrast zwischen Innen und Außen ist ein zentrales Thema der Schau.

In der japanischen Nachkriegsarchitektur nimmt das Einfamilienhaus eine besondere Stellung ein. Kein bedeutender japanischer Architekt, sei es Toyo Ito, Kiyonori Kikutake oder Sou Fujimoto, hat sich die Gelegenheit entgehen lassen, mindestens eines zu entwerfen. Wenn moderne Baumaterialien auf die Idee des Ephemeren treffen, die traditionelle japanische Architektur durchdringt (kein Haus steht länger als 30 Jahre), entsteht etwas, das sich meist radikal von zeitgenössischer westlicher Architektur unterscheidet. Geformt vom Trauma atomarer Verwüstung im Zweiten Weltkrieg und der Realität eines von Erdbeben bedrohten Inselgruppe, ist die japanische Architektur nach 1945 auch Spiegel wirtschaftlicher Realitäten, einhergehend mit Landflucht und Wohnungsmangel. Ein Werbefilm aus den Siebzigern preist als Wohnraum der Zukunft winzige Schlafmodule an, die "wie Container in die ganze Welt verschifft werden können". Utopie und Klaustrophobie auslösende Dystopie liegen hier eng beieinander.

Dem stellen viele Architekten die Individualisierung entgegen. Dabei stehen nicht zwangsläufig die Bedürfnisse der Bewohner im Zentrum, die Gebäude wirken bisweilen hermetisch: Kazunari Sakamotos "Machiya in Minase" (1970) ist eine kistenförmige Stahlbetonkonstruktion ohne Tür zur Straße. Von den Achtzigerjahren an greifen die Architekten wieder auf die Luftigkeit traditioneller Bauweisen zurück. Vor allem Toyo Ito, der Architektur mit Kleidung vergleicht, öffnet den Raum nach außen. Das mündet in transparenten und umweltschonenden Arbeiten wie Yo Shimadas "Rokko"-Haus in Kobe (2011): ein Glaskasten, dem ein mit Wellblech verschaltes Spitzgiebelhaus aufgesetzt ist - es scheint über der Stadt zu schweben. Er wolle etwas schaffen, dass als "Hintergrund" des Alltags dient, sagt Shimada: "Architektur sollte nie im Zentrum stehen, sonst haben die Menschen sie schnell satt."

Den variantenreichen Ansätzen ist gemein, dass sie das einzeln stehende Haus auch als Bereich verstehen, in dem sich die Fantasie entfaltet. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist der für die Ausstellung in Auftrag gegebene Tee-Pavillon von Terunobu Fujimori. Eingefügt in einen stilisierten Garten bildet das Teehaus mit seinem nach einem speziellen Verfahren verkohlten Fachwerk und dem weiß getünchten Inneren ein spielerisches Gegengewicht zum Moriyama-Haus. Allwöchentlich findet hier eine Teezeremonie statt. Jeder Besucher kann ihr beiwohnen - er muss nur die Schuhe ausziehen.

"The Japanese House - Architecture and Life after 1945", Barbican Art Gallery, London, bis 25. Juni. www.barbican.org.uk, Katalog 35 Pfund.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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