Architektur:Kunst in Blockschokolade

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Mit einer weit geschwungenen Rampe wollen die Schweizer Architekten des Büros Meili Peter Bewegung in das Haus bringen. (Foto: Michael Herling/Aline Gwose/Benedikt)

Das Sprengel-Museum bekommt einen Erweiterungsbau. Viele in Hannover mögen ihn nicht, dabei überzeugt die Architektur. Eine Vorab-Eröffnung soll nun die Kritiker besänftigen.

Von Till Briegleb

In Hannover hasst man "es". Vorgesagt von den Lokalblättern nennen viele Bürger die zweite Erweiterung des Sprengel-Museums, die am Freitag eröffnet wurde, nur "Brikett", "Sarg", "Bunker" oder Schlimmeres. Dafür kann man durchaus Verständnis haben. Denn die von den Verwüstungen des Krieges und der Trivialmoderne besonders hart betroffene niedersächsische Landeshauptstadt fördert sicherlich keine Sehnsucht nach weiteren schlichten Kisten, die dann auch noch schwarz sind. Zudem ist keine der Assoziationen für diesen "wichtigsten Kulturneubau der Stadt" - wie von politischer Seite betont wird - irgendwie unzutreffend. Nur die negative Wertung ist ungerecht.

Zweifellos steht das Züricher Büro Meili, Peter, das 2010 den internationalen Wettbewerb für den Anbau mit einem deutlich anderen, nämlich verspiegelten Entwurf gewonnen hatte, für jene nüchterne eidgenössische Linealarchitektur, deren Qualitäten nicht in der Fernwirkung liegen. Klassische Moderne im klarsten Geist Mies van der Rohes ist in der Schweiz bis heute eine baukulturelle Verschwörung, an die sich nahezu alle bekannten Büros des Landes halten. Aber die Finesse im Detail, zu der das starre Grundkonzept dieser Gestaltungsideologie seine kreativen Gläubigen zwingt, ist in dem Betonbau am Maschsee dann doch über jedes calvinistische Maß hinausgereizt.

Das beginnt schon beim Gravitationsspott des Sockels. Während die beiden vorherigen Bauteile des Museumskomplexes aus den Jahren 1979 und 1992 burgsolide auf einem festungsartigen Wall gegründet sind, schwebt der neue Bunkersarg auf Glas. Wie das Architekturbüro Herzog & de Meuron es bereits 1993 bei der Münchner Sammlung Goetz vorgemacht haben, so lagert auch diese Schweizer Museumskiste komplett auf einem Erdgeschoss, das nur aus einem Band des zerbrechlichen Materials zu bestehen scheint - wenn hier auch zurückgesetzt und irgendwie: schwarz.

Zu diesem symbolischen "Sieg über die Schwerkraft" passt die Haut des Briketts hervorragend, denn sie erinnert in ihrem geometrischen Spiel an die Zeit des russischen Suprematimus, als das explosive Pathos der Künstler den Glauben verkündete, man werde über die Physik triumphieren. Und Kasimir Malewitsch, der sein Schwarzes Quadrat erstmals in der suprematistischen Oper "Sieg über die Sonne" verwendete, liefert mit seinen späteren konstruktivistischen Architekturfantasien durchaus das Vokabular für die Fassadenakzente des Schweizer Briketts am Maschsee.

Der Direktor des Hauses versucht die Räume mit zeitgenössischen Installationen zu beleben

Reliefartige Bänder und Felder, die fein unterschieden sind in Sichtbeton und Terrazzo mit zwei Anthrazittönen, dazu drei spiegelnd verglaste Loggien, die dem Museumsbesucher ein entspanntes Studieren des NS-Projekts Maschsee und der vorbeirasenden Autos ermöglichen, prägen die Oberfläche als freie abstrakte Komposition. Es ist also Kunst in dieser Fassade, und "Tanz" findet sich in der Innenwelt.

Jedenfalls, wenn man der Architekten-Metapher von den "swingenden" Sälen folgt, die Markus Peter ausgegeben hat. Zehn neue Schauräume sind in der Blackbox nämlich so angeordnet, dass jeder sich um wenige Grade aus einem rechtwinkligen Raster dreht. Das ist zwar in den meisten Sälen so dezent wie der Schweizer Fremdenhass, den man auch nur wahrnimmt, wenn man durch Zahlen darauf hingewiesen wird. Aber in einigen Passagen führt die feine Achsenverschiebung tatsächlich zu räumlichen Irritierungen, die auch humorvoll gemeint sein könnten.

Besonders stolz sind Bauherr und Architekt dieses 35,7 Millionen Euro teuren Anbaus auf das, was man nicht sieht (was irgendwie auch sehr protestantisch ist), nämlich die spezielle Oberlichtkonstruktion in 3,50 Meter hohen Dachkästen. Will der Kurator für seine Kunstwerke exakt 280 Lux, dann vermag eine Kombination aus computergesteuerten Lamellen, Strahlern und Deckensegeln bei jeder Licht- und Wetterlage exakt gleiche Beleuchtungsverhältnisse zu halten. Aber damit nicht alles so dezent bleibt, dass es erklärt werden muss, hat Markus Peter für den Calder-Saal genannten Gelenkraum zwischen Alt- und Neubau eine weit geschwungene Rampe erfunden, die das große Eleganzempfinden dieser Architektur einmal in Schwung bringt.

Da Museumsdirektor Reinhard Spieler den "Sarg" unbedingt für die Bevölkerung öffnen wollte, bevor er klimatisch wirklich ausgefeuchtet ist, damit diese vor dem Einzug der Sammlung klassischer Moderne im Sommer 2016 ihre neue Kunst-Nekropole schon mal lieben lernen können, lockt er sie mit "untoter" zeitgenössischer Kunst. Für die Eröffnungsausstellung "Zehn Räume, drei Loggien und ein Saal" wird jeder Schauraum von einer einzigen Installation bespielt.

Ceal Floyer hat eine Treppe mit dem Titel "Scale" (engl.: Tonleiter) aus 22 Lautsprechern installiert, die den Klang des Auf- und Abschreitens auf einer Holzstiege wiedergeben. Christian Lohre lässt vier elektrische Zahnbürsten an Angelruten den beigen Museumsboden schrubben und nennt das "Schleppfehler". Maria Loboda hat Möbel für die Loggien entworfen, die mit Herrenhemd-, Krawatten- und Anzugstoff bezogen sind und "Beautiful Bankers" heißen. Und Neil Beloufa projiziert auf eine wandernde Wand ein Video, in dem ein paar hölzern sprechende "Entscheidungsträger" erkennen, dass die drängendsten Probleme der Welt wie Abtreibung, Arbeitslosigkeit und Armut sich nur mit dem Dritten Weltkrieg lösen lassen. Das diskutiert sich in einem "Bunker" natürlich viel leichter als sonst wo auf der Welt.

Bei all den negativen Assoziationen zu dem neuen Museumsteil kommt die naheliegendste absurderweise nie vor. Die Namensgeber des ganzen Komplexes, die mit der Schenkung ihrer Kunstsammlung 1969 an die Stadt die Gründung dieser Kunsthalle einleiteten, waren die lokalen Schokoladenhersteller Margrit und Bernhard Sprengel. Und dieses süße Erbe verbindet das Haus ja durchaus mit der Heimat des Architekten, wo die Kakao-Süßigkeit zum nationalen Kulturgut gehört. Vielleicht also, wenn die verstimmten Bürger der Stadt vorsichtig die feine Geschmackssicherheit des neuen Gebäudes erkennen, werden sie lieber von der Blockschokolade sprechen, oder sogar eines Tages von der Schokoladenseite des Museums.

© SZ vom 22.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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