Architektur:Gemüsekorb im Pariser Himmel

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Wie eine städtebauliche Altlast dennoch Zukunft haben kann: Ein Team aus drei Architekturbüros baut in der französischen Hauptstadt den ungeliebten 210 Meter hohen Montparnasse-Turm um.

Von Joseph Hanimann

Wie ein Zeigefinger ragt das Monument der späten Nachkriegsmoderne anklagend in den Pariser Himmel: Ihr liebt mich nicht! Hätte es in den Sechzigerjahren schon das Unesco-Label "Weltkulturerbe" gegeben, hätte Paris damit ein Problem gehabt. Dabei ist das an der Stelle des ehemaligen Montparnasse-Bahnhofs 1973 vollendete Bauwerk an sich gar nicht so schlecht, wäre daraus nur mit ein paar Nebengebäuden etwas städtebaulich Handfestes geworden.

Das Architektenteam um den Pariser Beaux-Arts-Professor Eugène Baudouin sah damals um den 210 Meter hohen Wolkenkratzer aber nichts anderes vor als ein Einkaufszentrum und viel Leere, so dass seither zur kalten Jahreszeit der Wind eisig über die Esplanade pfeift. Auch Beheizung und Lüftung der 52 Büroetagen entsprachen ganz der Verschwendungslogik jener Epoche. Und als schließlich überdies massive Asbest-Belastung zum Vorschein kam, war das Bauwerk mit seinen teilweise leer stehenden Büros nur noch ein Sorgenkind. Manche plädierten für Abriss.

Davon wollte der Eigentümerverband des Ensembles "Tour Maine-Montparnasse" jedoch nichts wissen. Er suchte, unterstützt von der Stadtregierung, nach einer zündenden Idee für die Rettung des Hochhauses. Namhafte Architekturbüros beteiligten sich am Wettbewerb. In der Schlussrunde war das Studio Gang der Architektin Jeanne Gang aus Chicago unter den Favoriten. Gewinner sind in Paris nun aber drei unter dem Namen "Nouvelle AOM" (Nouvelle Agence pour l'opération Maine-Montparnasse) zusammengeschlossene Architektenteams. Sie gehören zur neuen französischen Architektengeneration der Vierzigjährigen.

Franklin Azzi hat neben Wohnblöcken in Paris auch Hochhäuser in Dubai und Dakar gebaut. Das Büro von Pascale Dalix und Frédéric Chartier, die Lernerfahrung bei Dominique Perrault und Herzog & de Meuron mitbringen, hat in Paris interessante Schulgebäude und Studentenheime entworfen. Das Duo Mathurin Hardel und Cyrille Le Bihan wurde nach Lehrjahren bei Winny Maas von MVRDV in Rotterdam und bei Thomas Leeser in New York vor allem durch Wohnhäuser bekannt. Das vielfältige, aber nicht extravagante Projekt des AOM-Teams für den Montparnasse-Turm hat die Jury überzeugt.

Es soll ein Durchlauferhitzer für Arbeitende, Touristen, und Nachtschwärmer werden

Sie kleben dem Glasbau keine Balkone an, durchlöchern ihn nicht mit Sichtschneisen, hängen ihm keine Design-Rüschen um. Die Grundform aus zwei gewölbten Längs- und zwei eingeknickten Seitenfassaden wird beibehalten. Die Architekten verlängern aber die ersten 14 Etagen in Richtung Rue de Rennes, um von dieser Sichtachse aus die harte Kante des Gebäudes zu brechen und ihm das monolithische Aussehen zu nehmen. Auf dem Dach dieses Vorbaus soll das sprießen, was im heutigen Zeitgeistklima auf allen freien Stadtflächen so gut sprießt: ein Garten.

Die Stärke des Vorschlags liegt aber vor allem im differenzierten Nutzungsprogramm. Die bisherige Monofunktion weicht einer Mischnutzung aus Wohnungen, Büros, öffentlich zugänglichen Loggias, einem Hotel zwischen 42. Und 45. Etage. Das ganze Gebäude soll rund um die Uhr ein Durchlauferhitzer für Arbeitende, Touristen, Müßiggänger, Träumer und Nachtschwärmer werden. Die bisher sumpfbraune, matte Fassadenverglasung wird aufgehellt und auf Hochglanz poliert.

Ganz oben auf dem Flachdach kommt ein 18 Meter hohes Gewächshaus für Biogemüse hinzu. Für den Notproviant der Millionenstadt wird es nicht reichen. Es ist aber als Zeichen gedacht fürs neue Modell eines lokalen Konsums: ein weit herum sichtbarer Gemüsekorb im Pariser Himmel.

Weniger gut ersichtlich ist im Projekt die Logik innerhalb Paris. Die Einbindung ins Quartier bleibt bescheiden. Der Turm droht weiterhin ein Pfropfen im Stadtgelände zu sein, hinter dem mit dem Montparnasse-Bahnhof schon das Gefälle zum Ozean hin einsetzt. Während der langen Jahre der Realisierung könnten da noch ein paar Ergänzungen hinzukommen.

Bezugsbereit dürfte das Gebäude ohnehin erst im Jahr 2024 sein, wohl pünktlich zu den Olympischen Spielen. Die Asbest-Sanierung sei weitgehend abgeschlossen, versichert der Eigentümerverband, 250 Millionen Euro soll sie gekostet haben. Erheblich mehr wird der privat finanzierte Gesamtumbau kosten. Hochhäuser in der historischen Innenstadt bleiben zwar weiterhin verpönt, nicht nur in Paris. Wie eine städtebauliche Altlast dennoch Zukunft haben kann, wird dort aber gerade ziemlich überzeugend ausprobiert.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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