Architektur:Das 60-Millionen-Euro-Geschenk

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David Chipperfield hat für die Ehefrau des Firmenpatriarchen der Würth-Gruppe ein denkwürdiges Hybrid-Gebäude entworfen: Das Carmen Würth Forum in Gaisbach ist halb Kongresszentrum, halb Kammermusiksaal.

Von Laura Weißmüller

Gigantisch ragt das fast quadratische Gebäude aus den sanft geschwungenen Hügeln des Hohenloher Landes empor. Egal ob Bäume oder Strommasten, alles wirkt klein und zierlich im Vergleich zu dem vollverglasten Quader - zumindest sieht das auf den Fotografien so aus. Wer nun auf dem Platz davor steht, den Blick eingerahmt von zwei exakt ausgerichteten Stützwänden aus hellem Beton, der muss sich nur umdrehen, um zu wissen, was wirklich groß ist: die weißen Fabrikhallen der Firma Würth. Unvorstellbar mächtig wirken sie, wie die Bauklötze von Riesen, würde das nicht zu niedlich klingen angesichts dieser gewaltigen Gebäudemasse mitten im Grünen.

Das knapp 60 Millionen Euro teure Carmen Würth Forum, entworfen von einem der bekanntesten Architekten dieser Tage, David Chipperfield, und annonciert als Geburtstagsgeschenk für die Ehefrau des Firmenpatriarchen Reinhold Würth, nimmt sich in dieser Nachbarschaft tatsächlich gar nicht mehr so überdimensional aus. Ein Familienunternehmen, das etwa 73 000 Mitarbeiter weltweit beschäftigt und im ersten Halbjahr 2017 mit dem Vertrieb von Montage- und Befestigungsmaterial einen Umsatz von 6,4 Milliarden Euro erwirtschaftete, das denkt vermutlich in etwas anderen Größenordnungen. Wobei: Pompös oder gar verschwenderisch ist das neue Gebäude nicht. Im Gegenteil.

Die doch recht nüchtern kaufmännische Kosten-Nutzen-Rechnung fängt mit der Mischung der Funktionen an. Der insgesamt 11 000 Quadratmeter große Bau ist sowohl Kongresshalle als auch Kammermusiksaal - und damit ein Hybrid, das es so bislang eher selten geben dürfte. Hinter dem ausladenden Foyer schließt sich deswegen eine schlichte Veranstaltungshalle mit Tribüne an, mit robustem roten Plastikboden und vollausgestatteter Funktionsdecke. Die Architektur nimmt sich hier derart weit zurück, dass man sie kaum wahrnimmt. Auch wer die Stufen zur allseitig verglasten Galerieebene hochsteigt, wird kein erhebendes Raumerlebnis erfahren - abgesehen vielleicht vom weiten Blick in die baden-württembergische Landschaft. Funktionale Sparsamkeit könnte man das nennen oder auch: Messehalle ohne Charme.

Chipperfield zeigt sich damit hier als knallharter Auftragsarchitekt. Ähnlich wie beim Frankfurter Palmengarten nimmt er das Projekt wichtiger als seine Handschrift. Wer die nicht kennt - sichtbar etwa in seiner so kritischen wie sensiblen Rekonstruktion des Neuen Museums in Berlin oder im eleganten Museum Folkwang in Essen -, wird sie in Gaisbach auch nicht kennenlernen. Das kann man als Fähigkeit sehen, die vielen derart bekannten Baumeistern abgeht. Oder als Schwäche: Gerade die Provinz, wo gute Architektur rar ist, hätte ein Meisterstück mehr als verdient.

Rechts vom Foyer geht es hinab in einen Kammerkonzertsaal, der sich so tief in die Erde eingräbt, dass er von außen nicht zu sehen ist. Der rechteckige Saal für 600 Personen ist komplett mit Walnussholz verkleidet. Durch das tiefe Rot der Sitze und das satte Walnussbraun erinnert er an ein Schmuckkästchen. Die Holzmaserung lässt die Wände weich wie einen Nerzmantel erscheinen. Ähnlich samtig ist der Klang hier. Darauf hat man sich konzentriert. Ein eigens gegründetes Orchester, die Würth Philharmoniker, wird hier spielen. Gewagte Formen oder gar Opulenz, wie sie andere Konzertsäle auszeichnen, gibt es nicht. In gewisser Weise ist damit das Carmen Würth Forum - errichtet in nicht einmal zwei Jahren - das gebaute Gegenteil der Hamburger Elbphilharmonie.

Der Flächenfraß wird dadurch kaum weniger, aber erträglicher

Die Besucher stört das nicht. An einem sommerlichen Samstag kommen sie in Scharen, betrachten - ausgerüstet mit 3-D-Brillen - in der großen Halle die Ausstellung "Das neue Bild vom Nachbarn Mars" oder warten geduldig im Foyer, bis das längst ausverkaufte erste öffentliche Konzert beginnt. Während in Künzelsau, der benachbarten Kreisstadt, längst der letzte Laden geschlossen hat und die Fachwerkhäuser etwas traurig verlassen auf den nächsten Montag zu warten scheinen, ist vom wochenendlichen Totentanz hier keine Spur. Das Forum hat sieben Tage die Woche geöffnet, von 11 bis 20 Uhr, der Eintritt ist kostenlos. Ein klares Bekenntnis zur Provinz. Blutet die doch vielerorts aus, während die großen Städte ächzen angesichts des immer größeren Ansturms.

"Wir schielen nicht auf die Metropolen", sagt denn auch Sylvia Weber, sie leitet den Bereich Kunst und Kultur in der Würth-Gruppe. Über die Jahre ist dieser - wie die Kunstsammlung Würth - gewaltig gewachsen. Aktuell gibt es 14 Orte, wo die Firma Kunst zeigt. Abgesehen von der Kunsthalle Würth und der Johanniterkirche in Schwäbisch Hall sind die Ausstellungsflächen immer an ein Firmengebäude am Ort angegliedert. Wer will, kann darin künstlerisch verbrämte Eigen-PR sehen. Andererseits: Sollte man Fabriken und Gewerbegebieten nicht auch anderswo mehr zutrauen - als immer nur ihre Mitarbeiter tageweise zu verschlucken, während die Bauten für alle anderen sichtbar voluminös in der Landschaft herumstehen?

Wie es anders gehen kann, zeigt das erste Museum von Würth. Entstanden im Jahr 1991, als die Firma ein neues Verwaltungsgebäude brauchte, befindet es sich nur unweit des Forums, mitten in der Firmenzentrale. Die Formspielerei der Postmoderne passt zum Bau. Denn obwohl es ein privates Bürogebäude ist, wird der Öffentlichkeit hier Raum geboten - ganz im Sinne der Postmoderne-Theorie. Das ist eine Novität in Deutschland, damals wie heute, denkt man an all die vollverglasten Bürotürme unsrer Städte, die von den Bewohnern ringsum partout nichts wissen wollen.

Anders hier: Die große Ausstellungsfläche hat man ins Zentrum gesetzt, sie ist quasi das Herz des ganzen Gebäudes. Wer heute hier steht - auch dieses Museum hat sieben Tage in der Woche bei kostenlosem Eintritt von 11 bis 20 Uhr geöffnet -, kann nur staunen über die dichte Verschränkung zwischen öffentlicher Ausstellungsfläche und den Büros der Mitarbeiter. 60 000 bis 70 000 Besucher besichtigen alljährlich die Ausstellungen - aktuell ist es die Sammlung Carmen Würth. Und auch für die Mitarbeiter auf dem Weg zur Kantine ist es ein verlockendes Angebot, in der Nähe des Arbeitsplatzes mehr zu betrachten als nur den Schreibtisch und die Kollegen gegenüber. Der Flächenfraß ständig neu entstehender Gewerbegebiete, er wird nicht weniger durch Firmen wie Würth. Aber doch etwas erträglicher.

© SZ vom 22.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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