Architektur-Ausstellung:Made im Speckgürtel

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Die plumpen Shoppingmalls in den Vorortsiedlungen haben viele alte Stadtzentren ausgetrocknet. Das Münchner Architekturmuseum zeigt ihre wahre Geschichte.

Von Laura Weissmüller

Die Shoppingmall ist das Hassobjekt der modernen Architektur. Keiner macht sich freiwillig zum Fürsprecher dieser seelenlosen Container auf der grünen Wiese. Die Innenstädte veröden lassen, weil dort ein Traditionsgeschäft nach dem anderen schließen muss. Die sich längst nicht mehr mit den Randbezirken zufriedengeben, sondern sich immer tiefer in die Zentren fressen. Die immer nur mit den Filialen der ewig selben Ketten aufwarten. Saturn und Media-Markt in der Zentralachse. Rossmann und Edeka eine Etage drunter, die obligatorische Eisdiele im ersten Stock.

Das Problem: Das Einkaufszentrum ist nicht nur das Hassobjekt der Bautypologien der Gegenwart, es ist auch einer seiner wichtigsten Vertreter. Allein in den USA sind zwischen 1960 und 1999 40 000 Shoppingcenter entstanden. Egal, wo heute gebaut wird, in München oder Helsinki, in Dubai oder Kalkutta: Wo neue Stadtbezirke entstehen, prangen direkt neben ihnen Plakatwände, die schlanke Menschen mit großen Tüten zwischen Glasfassaden zeigen und die neue Shoppingmall zum neuen Viertel ankündigen. Oft wird auch gleich dagegen protestiert, aber das hat bislang kaum ein Bauvorhaben gestoppt. Und überhaupt, Kritik hin oder her: Die Masse strömt in Malls. Allein in Deutschland gehen zwölf Prozent der Bevölkerung wöchentlich in Einkaufszentren. In den USA, in Asien und den Emiraten haben die größten Malls bis zu einer Million Besucher pro Tag. Der Mensch macht seinem Ruf als Homo consumens alle Ehre. Aber nicht nur das. Er scheint dort etwas zu finden, was ihm jenseits der klimatisierten, säuberlich geordneten Welt abhandengekommen ist: die Gesellschaft anderer.

Die Stadt muss für alle da sein, ein Einkaufszentrum nicht - noch nicht. Das könnte sich ändern

Heerscharen von Soziologen, Ökonomen, auch Psychologen und Stadtplanern haben sich schon an dem Phänomen abgearbeitet. Nur die Architektur machte bislang einen Bogen um das Einkaufszentrum. Und das, obgleich bald jedes große Architekturbüro eine Mall im Werkverzeichnis führt. Doch diese Projekte verstauen die Baumeister lieber im toten Winkel ihres Portfolios. Das Architekturmuseum München will das nun ändern. Die Kuratorin Simone Vera Bader hat sich in ihrer Ausstellung "World of Malls" des architektonischen Schmuddelkinds angenommen und das bewusst neutral. Genau diese Herangehensweise bringt überraschende Ergebnisse hervor. Nicht nur, weil die Grundidee all dieser bunkerhaften Kisten einmal gut war. Sondern auch, weil genau jetzt der Moment ist, um diesen Stadtvernichter in den Dienst der Gesellschaft zu stellen. Gebaut wird er sowieso.

Es ergibt Sinn, die Auseinandersetzung mit der Shoppingmall mit ihrer Geschichte zu beginnen. Denn das, was heute als urbaner Totengräber empfunden wird, sollte sich eigentlich mal ein Vorbild an der europäischen Stadt nehmen. Der Wiener Architekt Victor Gruen, der vor den Nationalsozialisten nach Amerika fliehen musste, gilt dabei als Vordenker. Sein Southdale Center, das zwischen 1954 und 1956 in Edina, Minnesota, entstand, war das erste "introvertierte Einkaufszentrum der Welt", wie Gruen es selbst beschrieb. Es besteht aus fensterlosen Kisten, abgestellt mitten im Nirgendwo von Suburbia, die sich nach außen abschotten, als gelte es, einen Feind abzuwehren, umgürtet von gewaltigen Parkplatzflächen. Die Architektur in Form der Fassade spielt hier keine Rolle, eine Art Stadtplanung schon eher, aber muss sich die europäische Stadt hier wirklich Vorbild nennen lassen? Durchaus. Denn der Architekt wollte in der Ödnis der neuen Vorstädte ein Zentrum schaffen, in dem sich Menschen treffen können. Das fehlte dort komplett. Für Victor Gruen und die anderen Vorreiter sollte die Mall nie nur zum Einkaufen da sein: Man dachte an Vorlesungssäle, plante Bibliotheken und tüftelte an Begleitprogrammen. Der Auftritt von Tigern etwa war ebenso vorgesehen wie der Schönheitswettbewerb "Miss Suburbia".

Der Gedanke, den Konsum mit anderen Bereichen des Lebens zu verbinden, ist allerdings nicht erst in den gesichtslosen Speckgürteln der USA entstanden. In Wahrheit entpuppt sich das urmenschliche Bedürfnis, Handel zu treiben, als wahrer Motor der Stadtentwicklung, egal ob man die griechische Agora betrachtet oder die römische Basilika. Doch die Shoppingmall war der erste Baustein einer Stadt, der von dieser nichts wissen wollte. Für sie ist es nicht wichtig, gut in das urbane Nervensystem integriert zu sein. Warum auch? Das eigene Auto gehört zur Grundausstattung für den American Way of Life, der längst weltweit zum Prototyp für ein modernes Leben gehalten wird, in Indien genauso wie in Nigeria. Auch das erklärt den weltweiten Siegeszug der Shoppingmall.

Nur: Idee und Wirklichkeit, was ein Einkaufszentrum sein soll, klafften von Beginn an auseinander. Frank Lloyd Wright brachte es auf den Punkt: "Who wants to sit in that desolate-looking spot?" Wer hält sich gern an einem Schandfleck auf? Die Umgebung spielt hier keine Rolle, die Architektur auch nicht. Die Entwickler hielten sie für überflüssig. Und genau das ist das Problem an der Shoppingmall. Weder Stadt noch Architekten und schon gar nicht die Gesellschaft bestimmen ihre Aufgaben, sondern einzig und allein die Investoren, die nur eine Zielvorgabe kennen: möglichst viel Umsatz. Der öffentliche Raum, den viele Betreiber für ihre Einkaufszentren nicht nur beanspruchen, sondern auch zu schaffen vorgeben, er entpuppt sich als gut belüftete Schimäre. Rein rechtlich handelt es sich um privaten Raum mit eigenem Hausrecht. Auch für Nicht-Juristen ist das leicht zu erkennen: zum Beispiel an den Wachmännern, die in vielen Ländern an den Eingängen der Mall stehen. Aber auch an der Auswahl der Geschäfte, deren Zielpublikum nie die gesamte Gesellschaft umfasst. Die Stadt muss für alle da sein, eine private Mall nicht.

Den deutschen Architekten Walter Brune, der durch sein Rhein-Ruhr-Zentrum in Mülheim die erste Shoppingmall nach US-Vorbild in Deutschland entwarf und danach sehr viel Geld mit diesem Bautyp verdiente, ließ das schließlich an sich selbst zweifeln. In der Ausstellung erzählt er im Video, wie er einige Jahre nach dem Bau durch die Stadt Mülheim spaziert sei und dabei "fast einen Schlag bekommen" habe, weil so viele Geschäfte dort leer standen. "Mensch, Walter Brune, du bist Architekt und Stadtplaner, willst du den Menschen wirklich ihre Stadt zerstören?"

Genau jetzt jedoch ist der Moment, diesen Stadtzerstörer für sich einzuspannen. Und zwar, weil er selber gerade heftig attackiert wird. Die Fotografien von "Dead Malls" statten Bildbände und Fotoblogs aus. Nicht nur in China stehen gigantische Einkaufszentren halb leer. Der Online-Handel nimmt den Malls ihre Kunden ab. In ihrer Not hoffen ihre Entwickler nun plötzlich auf die Kraft der Architektur. Sie geben Concept Malls in Auftrag wie das Bikini Berlin und zeigen sich offen für andere Funktionen als immer nur Shoppen und Futtern.

Die Städte könnten diese Notlage der Malls ausnützen, indem sie vorgeben, was dort alles Platz haben muss. Es reicht nicht, nur einen Wettbewerb für eine hübsche Fassade auszuloben. Jetzt ließe sich die Hierarchie umdrehen: Die Öffentlichkeit steht über allem, sie gibt nicht nur die Richtlinien vor, sondern behält auch das Hausrecht. Das mag weltfremd klingen, da selbst Städte wie Berlin regelmäßig im Armdrücken mit den Investoren unterliegen. Arme Kommunen versuchen es nicht einmal mit Vorgaben, aus Angst, die Entwickler an die Nachbargemeinde zu verlieren. Müssen sie aber nicht. Denn diesmal kämpfen nicht die Städte ums Überleben, sondern die Shoppingmalls.

World of Malls. Architekturen des Konsums . Architekturmuseum München, Pinakothek der Moderne. Bis 16. Oktober. Info: www.pinakothek.de. Katalog (Hatje Cantz) 49,80 Euro.

© SZ vom 21.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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