Architektur:Alles auf Anfang

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Das Bauhaus ist mehr als die Wagenfeld-Leuchte: Es war eine Utopie mit Strahlkraft. Am Sonntag wird es 90 Jahre alt.

Von Gerhard Matzig

Wenn das Bauhaus in Dessau, das am kommenden Sonntag 90 Jahre alt wird, kein Gebäude, keine (Denk-)Schule, keine Stilrichtung und auch keine gesellschaftspolitische Idee wäre, sondern lediglich ein rüstiger und womöglich zur Bosheit neigender Jubilar, dann könnte es nun bald das Glas erheben. "Auf dich, Tom, wo du auch sein magst", könnte das Bauhaus dann sagen. Denn das am 4. Dezember 1926 in Dessau von Walter Gropius entworfene und eben auch von ihm als Bauhaus-Direktor in der Nachfolge Henry van de Veldes eingeweihte Bauhaus-Ensemble ist immer noch vital, ja virulent - zumindest als Missverständnis. Vom amerikanischen Schriftsteller Tom Wolfe dagegen, der zum schärfsten und entschlossensten Kritiker der Bauhaus-Bewegung wurde und der mittlerweile auch schon 85 Jahre alt ist, hat man tatsächlich schon etwas länger nichts mehr gehört. Auf dich, Tom, alter Feind, was du auch immer tun, denken oder schreiben magst.

"From Bauhaus to Our House" heißt das 1981 erschienene, höchst amüsante und auch kenntnisreiche Pamphlet, das Wolfe über das frühe Bauhaus als donnerlaute und herrlich bösartige Abrechnung verfasst hat. Die deutsche Übersetzung trug, um nun wirklich das Böse unter der Sonne im Reich der Geometrie zu benennen, den Untertitel "Die Diktatur des Rechtecks". Wolfe geißelte darin eine, wie er fand, faschistoide, zumindest aber esoterische und sektiererische Vorstellung vom "neuen Bauen". Die jungen Architekten und Künstler, darunter Schauspieler, Tänzer, Skulpteure oder Fotografen, "die ins Bauhaus kamen, um dort zu leben und zu studieren", schrieb Wolfe, "sagten, man müsse bei null anfangen. Das hörte man ständig: bei null anfangen. Gropius unterstützte jedes Experiment, das ihnen in den Sinn kam, solange es im Namen einer sauberen und reinen Zukunft geschah."

Tatsächlich ging es den Bauhäuslern formalästhetisch, materialtechnisch und konstruktiv um die Überwindung des traditionellen Kanons in der Baukultur einerseits - sowie um die Entgrenzung der Disziplinen andererseits. Zwar sollte vor allem die Architektur als vitruvianische "Mutter aller Künste" reaktiviert werden, aber unter ihrer Schirmherrschaft sollten Design, Bühnenkunst, Malerei, Fotografie und anderes mehr zum den Alltag insgesamt durchdringenden Gesamtkunstwerk fusionieren. Die bauhistorische Ironie dieser Bei-null-anfangen-Theorie liegt aber nun darin, dass das eine - Vitruv - eine antike Idee ist, während das andere auf die mittelalterliche Bauhütte zurückgeht. Hätten Wolfe und andere prominente Kritiker je begriffen, wie traditionell im Grunde die Bauhaus-Idee ist, so hätten sie sich viel überschäumendes Temperament sparen können.

Wer heute "Bauhaus" sagt, meint nicht selten preiswerten Schuhschachtelstil

Was sie provozierte, war aber erstens der zwar lediglich behauptete, aber dennoch schier allmächtig daherbrausende Alles-neu-Gestus von Gropius und Kollegen; und zweitens jene sich selbst ihrerseits zum Kanon verdichtende Bauhaus-Phänomenologie, wie sie noch heute mit "Bauhaus" übersetzt wird. Also: Ornamentlosigkeit, fließende Grundrisse, horizontal betonte Fensterbänder oder, Himmel hilf!, Flachdächer. Das Ganze in einem so strahlenden ("reinen") Weiß, wie es auch dem stets weiß gekleideten Tom Wolfe als Anzug gut zu Gesicht steht bis heute.

Tatsächlich ist der Einfluss des Bauhauses so bedeutend am Beginn des 20. Jahrhunderts, dass umgangssprachlich der Begriff "Bauhaus" meist gleichgesetzt wird mit "Moderne", "Funktionalismus", "Neue Sachlichkeit" oder "Internationaler Stil". Das ist zwar ziemlich unpräzise - aber begriffsgeschichtlich hat sich das Bauhaus letztlich als Synonym durchgesetzt. Wer "Bauhaus-Leuchte", "Bauhaus-Schmuck", "Bauhaus-Tapete" oder "Bauhaus-Möbel" sagt, bis hin zur auch heute noch von Immobilienmaklern gern gepriesenen "Villa im Bauhausstil" (oft ist das in Wahrheit eher ein Mehrfamilienhaus im preiswerten Schuhschachtelstil), der weiß, was gemeint ist: formale Reduktion, räumlicher Minimalismus, Orthogonalität, betonte Materialgerechtigkeit, eine industrielle Anmutung und letztlich die Behauptung: Ich bin die Avantgarde. Und alles andere ist Geschichte. Perdu. Aus und vorbei. Null eben.

Es ist dieser Hass auf die Geschichte, diese Weigerung, sich einzureihen in den Kanon (oder auch in den Städtebau), der die durchaus ernst zu nehmende Kritik der Bauhaus-Gegner auf sich zog. So entstanden bizarre Fronten. Auf der Seite Wolfes etwa kämpfte, rein theoriegeschichtlich betrachtet, Friedensreich Hundertwasser. In seinem "Verschimmelungsmanifest" von 1958 rechnete er mit der "moralischen Unbewohnbarkeit" des Funktionalismus ab. Das ist nicht weit entfernt von Wolfe und seinem Angriff auf das "Helle & Grelle & Reine & Feine & Leere & Hehre", das jeden normalen Menschen "in ein sinnliches Entzugskoma" treiben müsse. Das ist auch nicht weit entfernt von der Kritik eines Ernst Bloch, eines Alexander Mitscherlich oder, um in die Gegenwart zu gelangen, eines Martin Mosebach.

Das ändert aber auch nichts an der Erfolgsgeschichte des Bauhauses. Viele der vom Bauhaus entwickelten Produkte sind sowohl in ihrer ursprünglichen Form als auch in ihrer Weiterentwicklung bis heute aus vielen Haushalten nicht mehr wegzudenken. "Form follows function" (die Form folgt der Funktion, ergibt sich also daraus in logischer Weise): Diese Sentenz, formuliert erstmals von dem amerikanischen Architekten Louis Sullivan im Jahr 1896, wird schließlich durch das Bauhaus in die Welt getragen. Wobei man nie vergessen darf: Das Bauhaus wollte nicht nur die Welt der Formen neu erfinden, sondern auch eine geistig, spirituell und moralisch als marode empfundene Welt neu definieren. Das Elend und die geistige Zerrüttung nach dem Ersten Weltkrieg haben viel mit der verständlichen Sehnsucht nach einem Neuanfang zu tun. Man wollte nicht nur eine neue, sondern in diesem Sinne auch eine bessere Welt gestalten. Das Bauhaus ist mehr als nur die Wagenfeld-Leuchte oder ein Flachdach: Es ist, war vielmehr, eine Utopie mit Strahlkraft.

Wer heute "Bauhaus" googelt, begreift auf Anhieb und ziemlich schmerzlich den Niedergang dieser Idee. Die allwissende Suchmaschine leitet einen derzeit sofort - und auf Platz 1 der "Relevanz" - weiter zum Weihnachtsdekor-Angebot einer Baumarktkette namens "Bauhaus". Bei genauerer Betrachtung einer durch und durch konsumistischen Welt formaler Moden und banaler Spielereien und deren Billigästhetik, würde man eigentlich sehr gern wieder mal "bei null anfangen". Zusammen mit Wolfe und Mosebach. Danke also, liebes Bauhaus, der Versuch war es wert. Genieße deinen Tag und vergiss einfach, dass aus dir ein Baumarkt geworden ist, wo die Plastiktür in Pseudo-Holz-und-Butzenscheiben-Ästhetik "Solid" heißt.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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