Arabische Musik:Sonnenstunden für Biosachsen

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Lena Chamamyan, die Abend- und Morgenland zusammenpuzzelt. (Foto: AFP)

Das Festival "Mashreq to Maghreb" in Dresden-Hellerau bringt zeitgenössische arabische Kunst in die chronisch unterfremdete Stadt.

Von Cornelius Pollmer

In der Kulturtechnik des Fremdelns darf die Stadtgesellschaft Dresdens als führend bezeichnet werden, denn sie braucht für ihr Fremdeln zuweilen nicht einmal Fremdes. So fremdelten die Dresdner auch lange mit dem Europäischen Zentrum der Künste im Stadtrandteil Hellerau, obwohl es sich hierbei um einen Kulturbetrieb der Stadt selbst handelt. Die vielfältige Arbeit in Hellerau aber wird immer besser angenommen, und so blickte der 2018 scheidende Intendant Dieter Jaenicke in einen voll besetzten Saal im Festspielhaus, als er vor einem Monat mit grundsätzlicher Entschlossenheit das Jahr eröffnete. Er trage zwar die Sorge, sagte Jaenicke, dass nach Jahrzehnten des Fortschritts eine Zeit beginne, in der es nicht mehr darum gehe, gesellschaftliche Realitäten weiterzuentwickeln, sondern vielmehr um eine Verteidigung des Erreichten. Er trage aber auch die Hoffnung, "dass aus Verteidigungs- nicht Rückzugsgefechte werden". Nur kurz nach Meryl Streeps Zwischenruf bei den Golden Globes ergänzte Jaenicke in heiterem Ernst, alle Künstler "von Hollywood bis Hellerau" seien aufgerufen, an der Verteidigung mitzuwirken. Und zwar "egal wie viele Reichskriegsflaggen um uns wehen". Auf seine Worte folgte sinnverlängernder Weise die fantastische Tanzproduktion "Babel (words)", die das in Dresden ebenfalls hervorragend ausgebildete Menschentalent behandelt, aneinander vorbeizureden und sich misszuverstehen.

An diesem Wochenende nun begann in Hellerau das neun Abende und eine Nacht währende Festival "Mashreq to Maghreb", von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Wenn "Babel" noch Teil der Diagnose war, geht das Festival einen nächsten Schritt. Es gibt den zeitgenössischen Szenen des arabischen Raums in genau jener Stadt ein Forum, in der Unkenntnis und Fremdeln mit diesem Raum oft besonders groß sind. Die Reihe fügt sich damit gut ein in das ausdauernde und einfallsreiche Agieren vieler Dresdner Kulturinstitutionen seit dem Aufkommen von Pegida. Während politische Akteure immer wieder Schwierigkeiten haben, in der nervösen Stadt Dresden richtige Worte zu finden, helfen Veranstaltungen wie jetzt das Festival in Hellerau, auf solchen Ebenen zu kommunizieren, auf denen es nicht um Lautstärke oder die Zahl der Ausrufezeichen geht - gearbeitet wird mit Tanz und Film, Ausstellungen und Vorträgen, Essen und Bewegung.

Als blassgold-leuchtend gekleideter Höhepunkt gastierte am Samstag die syrisch-armenische Sängerin Lena Chamamyan auf der rückversetzten Bühne des Festspielhauses - wegen extrem hoher Nachfrage waren 800 Karten schnell verkauft, ein Zusatzkonzert für den Folgetag wurde anberaumt. Der Bedarf ist auf den Ruhm Chamamyans zurückzuführen, die mit ihrer populären Musik stilistisch und sprachlich Abend- und Morgenland bewundernswert zusammenpuzzelt. Darüber hinaus hat sich Chamamyan zu einer Ikone syrischer Hoffnungen emporgesungen. Das arabisch geprägte Publikum in der sonst unterfremdeten Stadt Dresden jauchzte grüppchenweise auf, als die Künstlerin in einem Lied verschiedene syrische Städte nannte, versehen jeweils mit einer Zeile Zuversicht: Wir werden dahin zurückkehren.

Für die extrem unterzähligen Biosachsen im Publikum lohnte sich der Besuch nicht minder. Zum einen hört man ja nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Ohren unhörbar. Zudem kann das ja eine vielleicht nervöse, aber doch erhellende Erfahrung sein: einmal zu erfahren, wie es ist, als kleine Minderheit in eine große Gruppe zu geraten und nicht viel mehr nachvollziehen zu können als deren Temperatur von fröhlich zu traurig und wütend und zurück. Vereint waren Neu- und Alt-Dresdner und die Besucher aus Bonn oder Augsburg immerhin im Klatschen. Dazu forderte Lena Chamamyan immer wieder auf, auch die 1 und 3 durften taktweise bedient werden und wofür hat man denn jahrelang im Stadl und bei Frühlingsfesten geübt wenn nicht für solche Momente?

An einem Abend wie dem Samstag kann irgendwann alles gelingen. Als Chamamyan in einer Ansage auf Englisch fragte, wer aus dem geneigten Publikum Armenisch spreche, rief ein mutmaßlicher Rolf oder Heinz auf Sächsisch fröhlich zurück in die Stille: "Isch". Diese Brücke wäre nun also auch gebaut.

© SZ vom 21.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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