Arabische Literatur:Sündenfall

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Najem Wali inszeniert in seinem Roman "Saras Stunde" zunächst eine symbolische Machtergreifung der Frauen in Saudi-Arabien, die er dann aber mit einer postmodernen Spiegelung aus dem Ruder laufen lässt.

Von Maike Albath

Es geht gleich zur Sache, knallhart und kaltblütig: Eine junge Frau steht am Krankenhausbett eines Mannes und überlegt, wie sie ihn am wirkungsvollsten umbringen kann. Ihr Motiv? Rache. Ein paar Minuten hält sie noch inne neben dem mächtigen Scheich, der durch die Kugeln eines unbekannten Angreifers schwer verletzt wurde und erst vor kurzem aus dem Koma erwacht ist. Wie ein Gebet wiederholt sie laut ihre Formel: "Im Namen all jener namenlosen Mädchen, die dir zum Opfer gefallen sind. Auf dass ich mich jetzt befreie für alle Ewigkeit." Als sein eisiger Blick ihre Augen trifft, reißt sie ihm die Sauerstoffmaske vom Gesicht, spürt im Moment seines Todes tiefe Erleichterung und verlässt mit ruhigen Schritten den Raum. Die Frau hatte sich um die Mittagszeit als Arzt verkleidet in das saudische Militärhospital geschlichen und war niemandem aufgefallen. Nun durchquert sie unbehelligt die Korridore, tritt in die Hitze hinaus, setzt sich in ihr Auto und fährt davon. Sind wir in einem Thriller gelandet?

Nicht ganz, aber der Mord weist auf die Drastik von Najem Walis neuem Roman "Saras Stunde" voraus. Nach der geschickt als Cliffhanger inszenierten Gewalttat, die mit der vieldeutigen Überschrift "Das Ende der Sünde" versehen ist, folgt erst einmal die Geschichte von Saras Kindheit und Jugend im Saudi-Arabien der 1980er Jahre unter wechselnden politischen Vorzeichen. Vor allem Frauen und Mädchen gelten qua Geschlecht als gefährlich. Dann kommt der zweite Schauplatz London ins Spiel, und die letzten Kapitel des umfangreichen mittleren Teils führen zurück nach Saudi-Arabien. Dieser Mittelteil ist das Herzstück des Buches und heißt "Saras Sünde". Damit ist die Zielrichtung des gesamten Unterfangens angedeutet. Denn Wali, 1956 im Irak geboren, seit dem Ausbruch des iranisch-irakischen Krieges 1980 in Deutschland Zuhause und verdienter Vermittler der arabischen Welt, verhandelt genau diese Frage: Wer legt fest, was als Sünde gilt? Wird das, was im Islam wie im Christentum als Sünde gilt, nämlich jemanden zu töten, möglicherweise zu einem Akt der Freiheit? Diese moralphilosophische Grundierung ist das Interessanteste an diesem Roman. Man könnte ihn als Appell an die Frauen deuten, als Aufruf zur Selbstermächtigung. Die kühle Exekution des Tugendwächters, der zudem Saras Onkel ist, ließe sich als symbolische Handlung begreifen.

Leider hapert es aber an der Umsetzung. Najem Wali scheint seinem Stoff nicht zu vertrauen. Zwar sind die Schilderungen des saudischen Alltagslebens aufschlussreich, aber der Autor überfrachtet die Handlung, lässt nichts im Ungefähren und ist viel zu explizit. Zuerst wirkt Sara wie eine Märchenfigur: Sie kriecht ohne Hilfe aus dem Mutterleib, lehnt alle Fürsorge ab, spricht früh in ganzen Sätzen und ist der Augenstern ihres Vaters, eines erfolgreichen Geschäftsmannes. Um Sara den Zugriffen der Tugendwächter zu entziehen, schickt er sie auf eine amerikanische Schule und nimmt den Konflikt mit seinem Schwager, Saras Onkel, dem Vorsitzenden der Behörde für Tugendhaftigkeit in Kauf. Doch als sich später eine wenig standesgemäße Liebschaft andeutet und Sara immer mehr einer aufmüpfigen Tante nacheifert, verbündet sich Ghazi mit dem verhassten Verwandten und stimmt der Ehe seiner Tochter mit dessen verstoßenem Sohn zu. Bei der behördlichen Überprüfung ihrer Unschuld zerfetzt der Onkel Saras Jungfernhäutchen mit dem Finger.

Leider hat der Autor einer postmoderne Spiegelung in seinen Roman eingebaut

Damit nicht genug: Sara wandelt sich in London zum Konsummonster, ihr schwuler Ehemann wird nach dem 11. September als Terrorverdächtiger eingebuchtet, sie verfällt dem Alkohol. Ganz aus dem Ruder läuft "Saras Stunde", als Wali eine postmoderne Spiegelung einarbeitet und seine Heldin einen Roman lesen lässt, dessen erster Band "Saras Sünde" heißt. Hier ist von dem Mord die Rede, den Sara tatsächlich begehen wird. Im Nachwort richtet sich Najem Walis in früheren Büchern erprobtes alter ego Harun Wali an Sara und erinnert sich an eine Begegnung mit ihr, die vielleicht nur eine Phantasie war, obwohl er in den Besitz ihres Notizbuches kam. Die Verschachtelung der Wirklichkeitsebenen wirkt gezwungen, die Grundidee versandet. Schade, denn für eine Machtergreifung der Frauen wäre es wirklich an der Zeit.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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