Arabische Literatur:Der Gläubige ist stets auf Reisen

Lesezeit: 3 min

Der saudische Autor Mohammed Hasan Alwan. (Foto: Kamran Jebreili/dpa)

In Abu Dhabi wurde zum Auftakt der Buchmesse der Preis für Arabische Romanliteratur vergeben. Er wird vom Ministerium für Kultur und Tourismus finanziert. Geht das?

Von Kersten Knipp

Ein Klischee wird gewürdigt, das zum Geist der Zeit passt. So mutet, jedenfalls für einen kurzen, bösen Moment, die Jury-Entscheidung beim diesjährigen Internationalen Preis für Arabische Romanliteratur (International Prize for Arabic Fiction / IPAF) an. Sie prämierte zu Beginn der Buchmesse in Abu Dhabi den saudischen Autor Mohammed Hassan Alwan für seinen Roman "Ein kleiner Tod", ein fiktionales Porträt des sufistischen Mystikers Ibn Arabi, der 1165 in Murcia geboren wurde und 1240 in Damaskus starb. Das Klischee ist das des Interkulturalismus: Ibn Arabi war ein Reisender zwischen den Welten, in Andalusien ebenso zu Hause wie in Damaskus, vertraut mit den Kulturen an beiden Ufern des Mittelmeers, ein Mittler, Übersetzer, Brückenbauer, gepriesen für seine religiöse Toleranz.

Ähnliches gilt auch für den Autor Mohammed Hassan Alwan. Er wurde 1979 in Riad geboren, in jenem Staat also, der als Inbegriff eines harten religiösen Fundamentalismus gilt. Aber längst ist er ausgewandert, seit Jahren lebt er in Kanada und hat dort bereits fünf Romane geschrieben. Auch Mohammed Hassan Alwan ist also ein Brückenbauer, einer, der den strengen Glaubenslehrern der Heimat in seinem Roman das Porträt eines der bedeutendsten Freidenker der arabischen Welt entgegensetzt. Dergleichen sieht man gern in Zeiten religiöser Verhärtung.

Doch voreiliger Zynismus, der stets die Prämierung des Gefälligen unterstellt, ist guter Literatur noch nie gerecht geworden. Er genügt auch diesem Roman nicht, einer gründlichen, faktengestützten Auseinandersetzung mit dem, was den Geist des hier erzählten mittelalterlichen Lebensweges ausmacht. Er habe sehr viel über Ibn Arabi gelesen, berichtet Alwan in einem Interview, nur so sei es überhaupt möglich gewesen, sich ihm zu nähern. Schon der Titel, "Ein kleiner Tod", deutet es an: Der kleine Tod, das ist der Schlaf der Vernunft, der Raum jenseits des kontrollierenden Verstandes, in dem sich Wort und Weltbild eben auch entwickeln, in nie abreißendem Schwung, der allein das Denken in Bewegung hält. "Man muss reisen, um zu lernen", lässt Alwan seinen Protagonisten einmal sagen. "Der Gläubige ist auf permanenter Reise, die gesamte Existenz ist eine Reise innerhalb einer Reise."

Der Preis wird von der Kultur- und Tourismusbörse Abu Dhabis finanziert. Aber er ist sinnvoll

Ein Satz, der ganz nebenbei auch den antiliterarischen Zynismus unterläuft, der ja, um zu wirken, das Vorurteil erst einmal in Stellung bringen muss. Wozu auch jenes gehört, dass die Bürger Saudi-Arabiens allesamt Fundamentalisten seien. Manchen ist die intellektuelle Gelenkigkeit des Sufismus eine Alternative. Von einer anderen berichtet der saudische Autor Turki al-Hamad in seinem Roman "Adama". Die Helden des Protagonisten sind Che Guevara, Frantz Fanon, Régis Debray, gelesen in den Sechzigerjahren, mitten in Saudi-Arabien.

Versteht man die Literatur und zumal die Form des Romans als Spielform des Möglichen, dann kann man den Internationalen Preis für Arabische Romanliteratur als einen der wichtigsten Literaturpreise bezeichnen. Seit 2008 macht der Arab Booker Prize, wie er auch genannt wird, Jahr für Jahr Autoren bekannt, die sich um alternative Deutungen der arabischen Welt bemühen. Dies zeigte sich auch in der aktuellen, aus fünf Titeln bestehenden Shortlist. Die libysche Autorin Najwa Binshatwan setzt sich mit der Geschichte des Sklavenhandels in ihrer Heimat auseinander. Der Iraker Saad Mohammed Raheem beschreibt anhand der Geschichte eines Buchhändlers die Zerschlagung der Kulturszene seines Landes nach der US-Invasion 2003. Der palästinensischstämmige Libanese Elias Khoury schildert das Leiden der Palästinenser im Umfeld der Staatsgründung Israels. Der Iraker Ismail Fahd Ismail erinnert an jenen Grünstreifen nahe der irakisch-iranischen Front im ersten Golfkrieg (1980 - 88), der seine Schönheit ausgerechnet dem Umstand verdankt, dass Saddam Hussein die ins befeindete Nachbarland hinüberreichenden Wasserkanäle sperren ließ. Auch der Ägypter Mohammed Abdel Nabi, der im Vorfeld als Favorit gehandelt wurde, greift sich einen historischen Stoff heraus. Er wählte als Stoff den Sturm der Polizei auf den Vergnügungsdampfer Queen Boat im Jahr 2001, auf dem Homosexuelle eine Party feierten.

Finanziert wird der von der Londoner Booker Prize Foundation betreute und mit einem Preisgeld von 50 000 US-Dollar dotierte Literaturpreis von der Kultur- und Tourismus-Behörde Abu Dhabis. Ist der Preis darum ein indirektes Werbeinstrument? Womöglich. Warum aber auch nicht? Schließlich präsentiert er neue, ungewohnte literarische Perspektiven auf die Region. Denen mag im nur bedingt lesefreudigen arabischen Raum zwar ein zahlenmäßig eingeschränktes Publikum folgen. Doch diese literarischen Stimmen sind ihrer ideellen Ausrichtung nach langfristig die einzigen, die politische und gesellschaftliche Perspektiven aufzeigen.

Derzeit versinken weite Teile der arabischen Welt in Krieg, Terror und Gewalt. Wie immer man deren Vorgeschichte beurteilen mag, einer Flexibilität der Weltbilder verdanken sie sich gewiss nicht. Der Arab Booker Prize zeigt Möglichkeiten ihrer intellektuellen Überwindung auf. Dem westlichen Publikum erlaubt er derweil einen Einblick in die aufregende Vielfalt arabischen Denkens.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: