Amerikanische Literatur:Schicksal spielen

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"Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an das allergrößte Glück": In ihrem satirischen New-York-Roman "Schwarz und Weiß" lässt Irene Dische die Figuren richtig fies auflaufen.

Von Willi Winkler

Am 14. Januar 1970 gab der Komponist Leonard Bernstein in seiner Wohnung in Manhattan eine Party für Donald Cox, den sogenannten Feldmarschall der Black Panthers. Zum Horsd'oeuvre wurden Erklärungen über die Lage der Schwarzen in Amerika gereicht, beim Dessert ging schon der Hut herum, garniert mit der dringenden Bitte der Gastgeber, doch ja nicht knausrig zu sein.

Zum Ende der Sechziger war es Mode in den gebildeten Kreisen geworden, sich mit der Gewalt als Politik zu solidarisieren. Tom Wolfe prägte dafür den schönen Begriff "radical chic", ein anderes Wort für den Ablass, der sich bereits mit einer prominent besetzten Motto-Party erwerben ließ. Wer die Erniedrigten und Beleidigten so demonstrativ unterstützt, kann kein ganz schlechter Mensch sein, darf aber sein Geld auch nach der unmittelbar bevorstehenden Revolution behalten.

Es ist 1972, als Bucky, "deren Herz für die ganze Menschheit schlug", eine Essayistin, die Susan Sontag sein könnte, und Vlado, ein anstrengender Neutöner, den Vietnamheimkehrer Duke Butler wie einen verlorenen Sohn aufnehmen. Pazifist ist er, naiv, so unverbildet wie der Wolfsjunge Truffauts, der ein paar Jahre zuvor im Kino lief, und dann ist er auch noch schwarz.

Ein Geschenk ist ihnen ins Haus geschneit, ein Wunder, es wird ihnen aber gleich von der Tochter weggenommen. Lili ist unerhört gescheit, sie vereint die Begabungen ihrer Eltern, leidet aber an "emotionaler Blutarmut" (die Diagnose borgt sie sich bei keinem Geringeren als Ezra Pound), verweigert sich deshalb der vorgeschriebenen Kulturbetriebsexistenz und schult um zur Krankenschwester. Der süße unbedarfte Schwarze wird ohne Vorwarnung der Hochkultur ausgesetzt, doch bleibt er die ideale ingénue, nur männlich. Nie hat er Kaffee oder Bier getrunken, seine Geschmacksnerven sind unschuldig wie ein Hamilton-Mädchen, und er ist deshalb prädestiniert für die neueste Mode in New York: teuren Wein. Butler wird - wer naiv ist, kann nicht irren - nicht nur Weinverkoster, sondern der beste überhaupt, sein Gaumen ist unfehlbar.

Es kann nur böse enden, aber es kommt viel schlimmer

Es kommt, wie es kommen muss, die beiden heiraten, Schwarz und Weiß, was für ein Triumph. "Sie wären ein Symbol für Entspannung zwischen den Rassen, und ihre Kinder und Kindeskinder würden die Welt erobern." Außerdem, da ist Irene Dische unerbittlich, muss es die große Liebe sein, die größte aller Zeiten. Jeden Tag wird es schöner. In ganz New York gebe es keinen Zweiten wie ihn, sagen die Leute über Duke. Ihr braucht nur ein Fotograf die große Brille abzunehmen, und das hässliche Entlein wird nicht bloß auf der Stelle Model, sondern grüßt bald von der hochhaushohen Leuchtreklame am Times Square. Es kann nur böse enden, aber es kommt viel schlimmer.

Es hört nämlich überhaupt nicht mehr auf. Die "blutige Hand", die Dische im Motto ihres Romans beschwört, führt niemand anderes als sie selber. Es muss ein ungeheurer Spaß sein, Schicksal und mit dem Leben seiner Figuren zu spielen. Unterwegs treten schreibblockierte Autorinnen, schwule Agenten, fette Wohnwageninsassen und rassistische Pfarrer auf, eine Geisterbahn, durch die Dische ihre Liebenden hetzt, immer noch schneller, noch berauschter von der eigenen Erfindungslust. Vor lauter Erfindungen quillt der Roman wie Dukes Schwester Anne aus jeder Form. Wie in einem Kolportageroman des 18. Jahrhunderts jagt ein unverhofftes Wiedersehen das nächste, ein nie enden wollendes Vorabendprogramm, in dem die Wahrscheinlichkeit nie ihr grauses Haupt erheben darf. Da kommen dann schnell mal 500 Seiten zusammen.

Der Wolfsjunge Duke, das Erziehungsexperiment, bildet sich so weit fort, dass er nicht nur Anzüge und gute Schuhe zu schätzen weiß, sondern praktisch ohne die Schule besucht zu haben den Kulturteil der New York Times lesen kann und sich vorstellt, dass "auch er sich von Pound unterhalten lassen" könnte. Lilis Absturz beginnt damit, dass sie berühmt wird und unglaublich viel Geld verdient. Das Glück könnte also wirklich allergrößt sein, außerdem hält sich eine kinderlose Diva bereit, um ihnen alles zu vermachen. Doch in einem fast drei Jahrzehnte währenden Martyrium muss Dische den armen Duke mit einem Sadismus zu Tode foltern, wie es zuletzt Alfred Döblin mit seinem Franz Biberkopf vorgeführt hat.

Wie der Biberkopf lernt Duke nicht dazu. Er liebt seine Frau, bleibt gutmütig und steuert doch auf das furchtbare Ende zu, das ihm seine Erfinderin zugedacht hat. Das hat, zugegeben, größten Unterhaltungswert. Immer noch etwas fällt ihr ein, noch eine irre Episode aus dem Soziotop des mittleren Woody Allen. Als Satire über die New Yorker, die sich über teure Abendessen, die Kosten für die Therapiestunde und möglichst hohe Vorschüsse definieren, bietet der Roman große Unterhaltung, sicherlich mehr als die "Cantos" von Ezra Pound. Die Südstaaten werden keineswegs vernachlässigt, sondern als traditionsbewusst vorgestellt: "Im Süden heirateten die Leute und blieben zusammen, bis sie ihren Ehepartner satt hatten, und dann brachten sie ihn um."

Es ist das alte Problem der Satiriker, dass sie sich über ihre Figuren zu viel lustig machen und sie zu wenig lieben. Der Hohn der Autorin über die Mesalliance zwischen Schwarz und Weiß liegt ihr weit näher als die beiden Protagonisten. Bei allem, was sie ihnen zumutet, interessiert sie sich kaum für Lili und Duke.

Die Anspielung auf Lilith, die apokryphe erste Frau Adams, ist überdeutlich. Lili betrügt ihren Mann in ungezählten Affären, nimmt jede erreichbare Droge und versinkt in einem rachsüchtigen Elend, aus dem sie nicht einmal der Hass auf ihre Mutter befreien kann. Ihr Kinderwunsch, den sie durch übelste Fremdbefruchtung gegen ihren Mann durchsetzt, endet in einer grausig pragmatischen Abtreibung, und dann wird einer dieser Sätze fällig, die so diamanthart sonst niemand formulieren kann: "Mit der Zeit gewöhnt man sich auch an das allergrößte Glück." Wer es noch nicht gelesen hat, darf sich auf einen brutalen Spaß freuen. Der schlechte Nachgeschmack ist garantiert.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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