Amerikanische Literatur:Lauter Siege

Lesezeit: 4 min

Baseball als Lebensinhalt: "Ein Papagei in Brooklyn", der neue Roman des Schauspielers David Duchovny, ist eine große Slapsticknummer - und ein geschicktes Spiel mit der literarischen Illusion.

Von Nicolas Freund

Viele Prominente kommen irgendwann auf die Idee, ein Buch zu schreiben. Manche wollen damit noch einmal schwarz auf weiß klarstellen, warum genau sie so toll sind. Häufig sind diese Bücher als Ratgeber getarnt. Die meisten Promis wollen aber gar nicht suggerieren, dass jeder so sein könnte wie sie, sondern einfach nur erzählen, was sie so alles gemacht haben. Meistens ist das Fußball spielen, Singen oder im Fernsehen gut aussehen. Das schreibt dann jemand für sie auf. Aber es gibt noch eine dritte Gruppe. Die zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Gegensatz zu den anderen beiden ihre Bücher in der Regel selbst schreibt, denn ihr geht es vor allem darum: ein Buch zu schreiben.

Ein Exemplar dieser seltenen Gattung ist der amerikanische Schauspieler David Duchovny, den man vor allem als den Verschwörungstheoretiker und FBI-Agenten Fox Mulder aus "Akte X" kennt. Oder als den abgestürzten Skandalautor Hank Moody aus "Californication". Seinen bekanntesten Figuren, dem Paranoiker, der hinter allem einen anderen Sinn vermutet, und dem Schriftsteller mit Schreibblockade ist natürlich leicht eine Nähe zur Literatur zu unterstellen, die im Falle Duchovnys auch über seine Person hergestellt wird. Denn kein Pressetext und kein Porträt über ihn hat es bisher versäumt zu betonen, dass Duchovny nicht nur Schauspieler ist, sondern dass er auch Englische Literatur studiert hat, sogar fast bis zur Doktorarbeit, und das auch noch an den amerikanischen Kaderschmieden Princeton und Yale. Für die Rolle in "Californication" war er also eigentlich schon überqualifiziert. Oder genau richtig. Ansichtssache.

Duchovny hat diesen Ruf als halbwegs gebildeter und über den Fernsehrand hinaussehender Mensch nie überstrapaziert, aber immer ein wenig damit kokettiert. Neben den kleinen Anspielungen in seinen Figuren - übrigens nicht nur auf die Literatur, sondern auch auf sein anderes Hobby: Basketball - schrieb er hier und da ein Fernsehdrehbuch oder führte bei einzelnen Folgen Regie. Seit Hollywood früh auf die Idee kam, um seine Schauspieler wie Judy Garland oder Grace Kelly herum eine Persona aufzubauen, die wie eine weitere Variation ihrer Filmrollen zwischen diese und die reale Person trat, schwingt bei jedem Fakt und Gerücht um Schauspieler der Verdacht der Inszenierung mit. Schauspieler müssen ungleich seriöser auftreten, um nicht als Fake zu gelten.

Im Roman wissen die Figuren, wie man ein Team gewinnen lässt: George Scott von den Boston Red Sox bei einem Match gegen die New York Yankees in den Siebzigern. (Foto: David Durochik/AP)

Bei Duchovny ist die Lage besonders undurchsichtig, denn mit seinen Projekten abseits der Leinwand bewegt er sich auf der Grenze zwischen Selbstdarstellung und ernst gemeinter Zweitkarriere. 2015 erschien sein erstes Buch, die etwas unklar zwischen Roman und Kinderbuch pendelnde Fabel "Heilige Kuh". Letztes Jahr scharte er eine junge Band um sich, nahm ein Country-Rock-Album auf und ging damit als Sänger auf Tour. Nun ist sein neues Buch erschienen: der Roman "Ein Papagei in Brooklyn" über den angehenden Schriftsteller Ted Fullilove.

Ted ist schon deutlich über 30, schreibt Romanentwürfe mit Hunderten Seiten für die Schublade und ernährt sich von Erdnüssen. Er verkauft sie im Stadion der New York Yankees und er nimmt kaum etwas anderes zu sich, abgesehen von Bier und Gras. Sonst hat er, trotz Ivy-League-Abschluss, noch nichts aus sich gemacht, wobei ihm auch seine Arroganz im Weg stehen könnte, die schon dazu beitrug, seine College-Liebe scheitern zu lassen: "Ted stellte ein paar Erkundigungen an und erfuhr, dass Rachel Sue in ihrer Wohnheimbude ein Poster des eindimensionalen Menschen höchstselbst, Herbert Marcuse, an der Wand hatte, so wie andere Unterschichtenmädels am Barnard College Poster dieser musikalischen Eintagsfliege namens Beatles aufhängten." Ted sieht selbst ein wenig aus, wie eine große Erdnuss. Es ist 1978, Grateful Dead sind ziemlich angesagt, und das neueste Ding, von dem noch niemand so genau weiß, was es alles kann, ist der Videorekorder. Eigentlich könnte es einfach so weitergehen, und wahrscheinlich wäre das Ted, obwohl er schon auch gerne ein großer Autor wäre, irgendwie ganz recht. Dieses zu Ende gedachte Junggesellenleben wird aber unterbrochen, als Ted den Anruf bekommt, sein Vater Marty habe Krebs im Endstadium, er müsse sich um ihn kümmern.

Der Roman ist trotz dieses ernsten Themas eigentlich eine große Slapsticknummer. Ted und Marty werfen sich seitenlange Sitcom-Dialoge an den Kopf - "Wie geht's dir, Marty?" - "Fantastisch, bloß'n bisschen Lungenkrebs" - und Ted stolpert von Peinlichkeit zu Peinlichkeit, meist in Anwesenheit der Pflegerin Mariana, auf die beide Fulliloves ein bisschen stehen. Die meisten Szenen, in denen sich Ted vor ihr verplappert oder es seinem garstigen Vater recht machen möchte und dabei krachend scheitert, scheinen aus dem kollektiven amerikanischen Vorabendfernsehgedächtnis entnommen zu sein. Daneben fällt Ted, aus dessen Perspektive der Roman fast durchgängig erzählt wird, zu allem ein passendes oder unpassendes, aber nicht ganz dummes literarisches Zitat oder auch ein Songtext ein. Es gibt dazu Figuren, Martys Freunde aus dem Block, die sich nur in Phrasen unterhalten: "Boston ist nun mal keine Weltstadt." - "So ist das Leben eben." - "Das ist der Weg des Tao." - "Was Papa Hemingway ne gute Sache nennt." Dem Übersetzer Jan Schönherr ist es gelungen, den Text, der im amerikanischen Original voller Slangausdrücke und -wendungen ist, in eine stimmige deutsche Fassung zu übertragen. An manchen Stellen wäre es aber doch besser gewesen, das Englische stehen zu lassen, wie er es mit dem Spanisch von Mariana getan hat. Denn einen "Kiez", wie es einmal heißt, gibt es in New York ganz sicher nicht.

David Duchovny, Schauspieler, Musiker und Autor. (Foto: Araya Diaz/AFP)

Während er also Marty pflegt und die letzten Tage mit ihm verbringen möchte, hat Ted eine besonders bescheuerte Idee. Weil Martys Lieblings-Baseballteam, die Boston Red Sox, eine Pechsträhne haben, inszeniert Ted, um seinen Vater nicht unnötig aufzuregen, mit alten Spielen auf Videokassette, gefakten Zeitungen und den Nachbarn eine Welt für seinen Vater, in der die Sox immer führen.

Der Roman besteht eigentlich nur aus solchen Cartoon-Szenen, Zitaten, Phrasen und flachen Vergleichen, die sich Ted meist gleich noch notiert. Obwohl die Perspektive nicht durchgehalten wird, fragt man sich, ob dies Teds Blick auf die Welt sein soll, der Blick einer Schriftstellerkarikatur, oder ob sich hier wirklich jemand als Romanautor versucht hat, anstatt wie Ted vor allem davon zu träumen. Der Text lässt durchblicken, dass er sich dessen sehr bewusst ist und noch eine zweite Ebene kennt, wenn beispielsweise der kranke Marty am Ende eines quatschigen Kapitels nur noch herausbekommt: "Ah, verdammt! Lachen ist die Hölle." Dann kippt der ganze Roman. Aber nur kurz. Schnell sitzt Marty wieder im Wohnzimmer und liest Walter Benjamin, während draußen die Nachbarn mit Gartenschläuchen einen Regenschauer inszenieren und Ted heimlich die Kassette mit den Urwaldgeräuschen auflegt, damit er seinem Vater glaubwürdig vorgaukeln kann, das Baseballspiel, das die Sox verloren haben, sei wegen des Wetters abgesagt worden. Dann ist die literarische Illusion schon sehr gelungen.

David Duchovny: Ein Papagei in Brooklyn. Roman. Aus dem Englischen von Jan Schönherr. Wilhelm Heyne Verlag, München, 2017. 352 Seiten. 19,99 Euro. E-Book 15,99 Euro.

© SZ vom 13.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: