Amerika und Ideologie:Soutanen im Surf-Shop

Lesezeit: 6 min

Ausgerechnet im liberalen Kalifornien sitzt das Claremont Institute, das entschieden dafür trommelte, konservative Intellektuelle hinter Trump zu versammeln. Ein Besuch.

Von Peter Richter

Man muss die Interstate 10 nehmen, dieselbe, auf der einst halb Hollywood zum Feiern nach Palm Springs gependelt ist, und auf halbem Weg rechts runter. Kann sein, dass das hier noch zum Großraum von Los Angeles zählt. Kann auch sein, dass das schon eine Stadt für sich ist. Amerikas größte: Suburbia. Es gibt Schnellstraßen, Fastfood, Tankstellen, Eigenheime in Sackgassen. Das Navigationssystem sagt: Hier.

Hier?

Im September war in der Onlineausgabe der Claremont Review of Books ein Artikel erschienen, den viele in den USA für den Ausgang der Wahl mitverantwortlich machen. "The Flight 93 Election" hieß der, es war ein Aufruf an Amerikas Konservative, ihre Aversionen gegen Donald Trump zu überwinden. Bei den Anschlägen vom 11. September 2001 war auch United-AirlinesFlug 93 gekapert worden, die Terroristen wurden aber von im Wortsinne todesmutigen Passagieren überwältigt und das Flugzeug zum Absturz gebracht, bevor es sein Ziel treffen konnte. Wer sich zu dem Todesmut aufrafft, Trump zu unterstützen, riskiere ebenfalls den Absturz, so ging die Argumentation; blieben die Liberalen am Steuer, sei die Katastrophe garantiert.

Sie bezeichnen sich selbstironisch als Claremonster

Es war ein außergewöhnlich krawalliger Ruf zur Umkehr für eine gewöhnlich eher akademisch argumentierende Publikation. Dem Autor Michael Anton, der unter dem Pseudonym Publius Decius Mus schrieb, dem Namen eines römischen Konsuls, der sich für seinen Staat geopfert hatte, diesem Autor also hat er inzwischen einen Job im Nationalen Sicherheitsrat in Trumps Weißem Haus eingebracht. Und von William Kristol im Weekly Standard einen Vergleich mit der Rolle, die Carl Schmitt für Hitler gespielt hat. Es war ja auch kein Angriff auf die Linke, gegen die geht es sowieso, sondern auf das konservative Establishment, auf Leute wie Kristol, und es sieht so aus, als hätte der gesessen.

Die Institution, die ihn veröffentlicht hat, muss jetzt eine ungewohnte Aufmerksamkeit verwalten. Inzwischen wissen auch Leser der New York Times, dass die Leute vom Claremont Institute sich selbstironisch als Claremonster bezeichnen und davon reden, seit der Flug-93-Wahl einen "Moment" zu haben. Wem bei dem Namen Neogotisches, Efeu, Lehrkörper in Cordhosen vor Augen stehen: falsch. Mit den Claremont Colleges, die eine namhafte Hochschule bilden, hat das Institut lediglich den Namen gemein, aber nicht die Adresse. Stattdessen ist da ein Bürobau aus den Siebzigern, ein Betonmonster mit getönten Scheiben und Parkplatz drumherum, Eingang auf der Rückseite.

Jenseits der Glastür allerdings: eine solche Orgie von Holzvertäfelungen und Kronleuchtern, als hätten Kulissenbauer vom Film den Eindruck vermitteln wollen, man betrete einen dieser mehrere Hundert Jahre alten Londoner Clubs, in denen nur mehrere Hundert Jahre alte Gentlemen Zutritt haben. "Hier war vorher eine Rechtsanwaltskanzlei drin", sagt Ryan Williams auf der knarzenden Wendeltreppe. Die Claremonster mussten beim Einzug nur ihre Churchill-Büsten hinzufügen. Ryan Williams ist der CEO, der Chief Executive Officer des Instituts, das im Kern das ist, was man einen Thinktank nennt. Ein Mann in seinen Dreißigern in Khakis zum Sakko und bunt geringelten Socken. Das glaube er gern, dass man überrascht sei, ausgerechnet in Kalifornien so eine konservative Denkfabrik zu finden. In den besseren Vierteln von Los Angeles wohnen aber auch ihre Geldgeber. Und nicht nur die partisanenartige Stellung im Feindesgebiet schärfe die Sinne, sondern auch die Ferne vom politischen Gravitationskern Washington, D. C.

Der Mann, der für das Programm verantwortlich ist, wurde im Irak geboren

Bisher haben noch keine Anti-Trump-Demonstranten bis hier raus gefunden, aber überraschen würde es ihn nicht nach der Popularität durch den Artikel von Michael Anton. Der wiederum sei ein ehemaliger Stipendiat des Hauses und regelmäßiger Essayist mit einem Themenspektrum, das von Machiavelli über kalifornischen Wein bis zu den Beach Boys reiche. Leises Lächeln. Man ahnt, dass "Publius Decius Mus" hier gewirkt haben muss wie ein Punkrocker auf dem Konservatorium.

Die kanonischen Themen lauten hier nämlich Gründerväter, Sklavereidebatte, Bürgerkrieg, Lincoln, Progressivismus um 1900, Kritik daran, moderner Liberalismus und Konservatismus. In dieser Reihenfolge wird das den Stipendiaten nahegebracht, vorwiegend in Sommerakademien für den politischen Nachwuchs und Verwaltungsbeamte, für Journalisten und für Juristen, die es auf Richtersessel zieht.

Es geht nicht so sehr um konkrete Politik, sondern um deren ideologische Grundierung. Hier reden sie im Zweifel nicht über Trump, sondern lieber über Lincoln, sie reiben sich nicht an Obama oder Clinton, sondern an Woodrow Wilson, und ihr Lieblingsthema ist nicht die politische Korrektheit, sondern das Naturrecht. Aber indem sie über das eine reden, meinen sie natürlich all das andere, nur gewissermaßen in absoluteren Begriffen. Das Konservative und das Akademische teilen ein Faible für Genealogien, und bei konservativen Akademikern ist der Stammbaum naturgemäß besonders knorrig. Im Anfang war hier Leo Strauss, und zwar - um es mal in dessen eigenen Begriffen zu sagen - deutlich mehr als gesetzgebender Moses denn als Zweifel lehrender Sokrates. In Europa ist der deutschjüdische Gelehrte heute vor allem als origineller Unterscheider zwischen exoterischen und esoterischen Lesarten von Maimonides-Texten ein Begriff (mit anderen Worten: vermutlich nicht besonders vielen). In den USA, wo er die meiste Zeit gelebt und gelehrt hat, hat er aber eine ganze Schule des politischen Denkens hinterlassen, die im Naturrecht ein Gegengewicht zu Historizismus und Relativismus sah. Wenn der Progressivismus sich seit Präsident Wilson fragt, warum man sich heute noch um jahrhundertealte Formulierungen längst toter Männer scheren müsse, taten Amerikas Straussianer mit grimmiger Begeisterung genau das.

Beim Strauss-Schüler Harry Jaffa klang es dann so, als sei die Unabhängigkeitserklärung das Alte Testament und die Verfassung das Neue. Jaffa lehrte an den Claremont Colleges und hat 1979 das Institut gegründet, um gegen den Geist der Carter-Präsidentschaft eine Fundamentierung des amerikanischen Konservatismus zu setzen. Jaffas Nachfolger als Straussens Stellvertreter auf amerikanischer Erde heißt Charles Kesler; folgerichtig ist Kesler heute die graue Eminenz hinter dem Institut und der Zeitschrift und oberster Hüter dessen, was sein Geschäftsführer Williams als "transhistorische Wahrheiten" bezeichnet. Das konservative Bedürfnis nach Unhintergehbarem hat hier einen Verfassungsfundamentalismus erblühen lassen, der auf jeden Fall interessantere Vertreter hat als jeder religiöse Fundamentalismus.

Da ist etwa der Mann, der am Claremont Institute für das Programm verantwortlich ist: Muhammed Syed, 35 Jahre alt, geboren als Kind indischer Eltern im Irak, die kurz darauf vor dem Krieg mit Iran nach Amerika flohen. Syed war mit 17 in die U. S. Army eingetreten und gehörte zu den Ersten, die 2003 in den Irak geschickt wurden. Er hat dort seine eigene Geburtsstadt mit eingenommen. Danach ging er studieren, kam nach Claremont und wurde nicht einfach nur Schüler von Jaffa, sondern Ziehsohn. Er durfte in des Professors Gartenhaus wohnen.

Als "Publius Decius Mus" hat er Trump ins Weiße Haus geschrieben, als Michael Anton darf er nun selber dort arbeiten. (Foto: Pablo Martinez Monsivais/AP)

Heute ist Syeds Denken von Jaffas Verfassungspatriotismus genauso geprägt wie von der Kriegserfahrung. Er hat Trump gewählt und befürwortet insbesondere dessen Pläne zur Aufrüstung. Die Armee sei unterausgestattet, militärische Auseinandersetzungen mit aggressiven Mächten, "die mit ihrer globalen Position nicht glücklich sind", seien unvermeidlich. Er habe auch nichts dagegen, dass Trump mit Einreisesperren für bestimmte Länder seinem verfassungsmäßigen Auftrag nachgehe, für Sicherheit zu sorgen, und weist den Begriff "Muslim-Bann" von sich, da die meisten muslimischen Länder gar nicht betroffen seien. Er sehe auch keine Diskriminierung von Muslimen in den USA, aber in der Verweigerung von Assimilation sehe er eine Einladung dazu. Es sei für ihn kein Problem, wenn Leute fünf Mal beten am Tag und Kopftuch tragen, es sei für ihn ein Problem, wenn sie nicht auf die Verfassung schwören.

Er sitzt, in Anzug und Krawatte, im Konferenzraum des Instituts, hat Zettel und Stift neben sich und wird auch nach einer Stunde nicht müde, geduldig jede aktuelle politische Frage bis runter zu den Haltungen der Gründerväter durchzudeklinieren. Aber die Zeit drängt leider und eine Etage drunter wartet schon John Kienker, der produzierende Redakteur der Claremont Review of Books.

Kienker trägt bei der Arbeit des Redigierens einen Pullunder über seinem weißen Hemd. Diese Äußerlichkeiten sind deswegen bemerkenswert, weil der Habitus hier drin so stimmig ist, aber im Gesamtzusammenhang Kaliforniens nimmt er sich aus wie eine Stange Soutanen in einem Surfshop. Kienkers Zeitschrift hat in Format und Optik ganz klar die renommierte New York Review of Books zum Vorbild, sei im Vergleich dazu freilich ein Zwerg. Popmusikalisch gesprochen sei man immer ein "Underground Hit".

Wenn man nur alle Vierteljahre erscheine, sagt er, dann könne man schlecht aktuell auf eine Wahl eingehen. Daher hätten sie letzten Herbst um schnelle Stücke für ihre Webseite gebeten. So kam es zur "Flight 93 Election". Dann habe Rush Limbaugh, der Pate des konservativen Talkradiowesens, praktisch den kompletten Artikel in seiner Sendung zitiert, anschließend seien die Server zusammengebrochen: 225 000 Seitenaufrufe in der ersten Woche. Kienker ist immer noch ganz beschwingt deswegen, die Druckauflage beträgt gerade mal 13 000.

Sie wollen keinen Einfluss auf die Regierung in Washington, sondern auf die Bundesstaaten

Da Michael Anton als ehemaliger Stipendiat automatisch Abonnent ist, geht zumindest ein Exemplar pro Ausgabe ins Weiße Haus. Ob Trumps Chefideologe Steve Bannon zu den Lesern gehört, weiß man hier nicht. Man kennt ihn nur lose aus der Zeit, als er bei Breitbart News war. Aber sie teilen sein Vorhaben, "den Verwaltungsstaat zu dekonstruieren", sagt Chief Executive Officer Williams, er meine die demokratisch niemandem rechenschaftspflichtige Bürokratie. "Daran arbeiten wir theoretisch seit dreißig Jahren."

Program Officer Syed sagt, er wolle keinen Einfluss auf die Regierung in Washington, sondern - Föderalismus der Gründerväter! - lieber auf die in den Bundesstaaten. Und Redakteur Kienker gibt einem noch ein paar Ausgaben der Review mit auf den Rückweg nach Los Angeles. Zu den Leuten mit den aufgeknöpften Hemden und Ansichten und der sonnigen Illusion, ein Bollwerk des Liberalismus zu bewohnen.

© SZ vom 18.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: