Altäre und Gemälde:Die Pracht des Glaubens

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Nach dem protestantischen Bildersturm des 16. Jahrhunderts waren viele Kirchen leer. Rubens schuf für die katholische Reform eine üppige Bilderwelt, die den kirchlichen Rängen und den Gläubigen wieder visuelle Identität verlieh.

Von Michael Rohlmann

Schwer trägt der Riese auf seinen Schultern das kleine Kind, gebeugt von der Last stapft er durch die Nacht. Im Kind fühlt er das Gewicht der ganzen Welt, so die mittelalterliche Legende vom heiligen Christophorus, der das Jesuskind über den Fluss trägt. Rubens wählte für die Darstellung das Vorbild der gewaltigsten antiken Herkules-Statue, des Herkules Farnese. Der hält die Äpfel der Hesperiden, für diese Früchte der Unsterblichkeit hatte auch er die Welt getragen. Geistreich verwandelt Rubens diesen antiken Mythos in frommes Heiligenleben.

Doch welch ein problematischer Heiliger! Wer sollte damals im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform, wo das Zurück zu Bibel, glaubhafter Wahrheit und zentralen Glaubenssätzen Christi gepredigt wurde, noch an wunderliche Märchenheilige glauben, deren Person kein Historiker verbürgte? Wahrlich einen schwierigen Patron besaß die Antwerpener Schützenbruderschaft. Rubens sollte ihn für sie auf einem riesigen Triptychon in der Kathedrale der Stadt feiern. Für das Problem fand er eine geniale Lösung: Ein Einsiedler beleuchtet entzückt das Kind im Nacken des Heiligen, stellt damit die Tat des Tragens von Christi Leib ins Licht. Am Bildort des Lichtstrahls ließ sich der Flügelaltar aufklappen und der Christophorus durch drei Christus-Szenen ersetzen. Aufklappen, lateinisch explicare, bedeutet zugleich erklären: Das Öffnen des Triptychons erklärt die Rolle des Heiligen. Christophorus steht durch die griechische Bedeutung seines Namens für das Christus-Tragen. Diese Tätigkeit führt das geöffnete Triptychon mit Heimsuchung, Kreuzabnahme und Darbringung im Tempel dreifach vor. Mit dem Christus-Tragen verbinden sich in den drei Szenen soziales Helfen, die Sorge um Verstorbene und deren Bestattung, schließlich Tempelgabe, Kirchenbesuch und Gottesdienst. Damit konnte die Bruderschaft ihrem Patron aktuelle praktische Bedeutung abgewinnen.

Es ist ein Malen gegen den Horror der eigenen Zeit

Rubens ist der große Bildprediger der katholischen Reform. Im Zeitalter der Glaubenskriege, die Europa verwüsteten und Rubens' Heimat bedrohten, bekräftigt er die Lehre der katholischen Seite mit überwältigendem Pathos und rhetorischer Überzeugungskraft. Er füllt von neuem die im protestantischen Bildersturm entleerten Kirchen. Er gibt alten und neuen Orden, Bruderschaften, kirchlichen Rängen, weltlichen Potentaten und der Menge der Gläubigen visuelle Identität.

Dabei enthüllt Rubens' Kunst in den Szenen der Glaubenswelt immer wieder humanes Potenzial. Das Menschliche erscheint in lebender Natürlichkeit, in berückender Tiefe des Gefühls, in erschreckender Leidensdrastik - und ist doch Produkt allerhöchster künstlerischer Reflexion.

Rubens hat Bezüge zwischen gemalter Darstellung und ihrer realen Bildumgebung genau beachtet. In Caravaggios Altarbild der "Grablegung" schien das Bildpersonal den Körper Christi aus dem Bild auf den davor stehenden Altar herabzulassen. Damit war das eucharistische katholische Messgeschehen illustriert, in dem das Corpus Christi der Hostie auf dem Altar präsent wird. Als Rubens Caravaggios Komposition in einem Bild aufgriff, das nicht für einen Altar bestimmt war, rückt er den Altar als Sarkophag verwandelt ins Bild hinein. Das Bildgeschehen ist dabei fortgeschritten: Schon sind die Christusträger aus Caravaggios Bildausschnitt herausgetreten und haben mit dem Toten den Sarkophag fast erreicht. Als sei Caravaggios Komposition lebendige Gegenwart, als müsse die später entstandene Nachahmung notwendig auch einen späteren Moment der im Vorbild gezeigten Handlung darstellen!

Die von den Protestanten abgelehnte Masse der Heiligen schart Rubens im "Augustineraltar" in nie gesehener Anzahl um den Thron Mariens, war der Altar doch Maria und allen Heiligen geweiht. Das schon von Tizians "Pesaro-Madonna" dynamisierte alte Altarbildschema einer Versammlung verehrter Heiliger ließ sich mit Tizians Hilfe noch weiter in die Erzählung eines vielstimmigen Stufenaufstiegs zur Gottesschau verwandeln: Aus Tizians "Ecce homo", wo Christus dem Volk zur Schau gestellt ist, verhöhnt und zum Tode verdammt wird, sind Elemente von Komposition, Figuren und Motiven entlehnt und neu kombiniert.

Als wollte Rubens das Thema von Leid und Verspottung in jubelnden Triumph verwandeln. Ein Malen gegen den Horror auch der eigenen Zeit. In der Kette der Heiligen blickt der Kirchenpatron Augustinus uns an. Er fordert dazu auf, über die realen Abstufungen der Altararchitektur in die Imaginationswelt des Bildes aufzusteigen und sich den Heiligen anzuschließen.

Michael Rohlmann lehrt Kunstgeschichte an der Bergischen Universität Wuppertal

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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