Alpen-Pop:Im Groove der eigenen Biografie

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Hubert von Goisern ist in die amerikanischen Südstaaten gereist und hat sich auf seinem jüngsten Album wie schon oft mit fremden Federn geschmückt, ohne seine Wurzeln zu vergessen. Das Ergebnis ist merkwürdig glatt

Von Karl Forster

Als in den späten Sechzigerjahren das Phänomen Popmusik auch vom gymnasialen Lehrbetrieb nicht mehr ignoriert werden konnte, brachte ein großes Plattenlabel "Die Geschichte der Rockmusik" auf den Markt. Es waren drei Vinylscheiben "voller Lärm", wie der Musiklehrer damals zu bemerken wusste. Da war das 3. Brandenburgische Konzert von Bach in Bearbeitung eines gewissen Keith Emerson und seiner Band The Nice drauf, "Stg. Pepper" von den Beatles und irgendwas von den Rolling Stones. Ein Song blieb besonders in Erinnerung: "Strange Fruit", gesungen von Josh White als Cover-Version dieses von Billie Holiday berühmt gemachten Liedes. Dies sei, so stand es im Begleitheft für die Musiklehrer von damals, ein typischer Song der Südstaaten, weil es die Lynchmorde an den Schwarzen anprangert ("Southern trees bear strange fruit, blood on the leaves and blood at the root"). Eine Musik voller Trauer und Kraft, die ein Leben lang im Kopf bleibt.

Das Album "Federn" liefert den Sound zu einem neuen Abschnitt in von Goiserns Biografie. Szene aus Rosenmüllers Kinofilm "Brenna tuat's schon lang". (Foto: movienet/dpa)

Der welterfahrene Multiinstrumentalist und Sänger Hubert von Goisern war nun in Amerikas Süden gereist und hat Musik von dort mitgebracht, gebannt auf eine CD namens "Federn", mit 15 Liedern drauf, allesamt irgendwie jener Gegend verbunden, in der Schwarze noch heute nur offiziell (und oft nicht mal das) als der weißen Bevölkerung gleichwertig anerkannt sind. Er war in Nashville, Louisiana, New Orleans. Hat Jazz, Blues und Zydeco gehört und in sich aufgesaugt. Und, wie er im Vorwort des Booklets schreibt, diese Eindrücke dann musikalisch verarbeitet. Das Lied "Strange Fruit" ist, siehe Ferguson et alii, heute noch aktuell. Auch Hubert von Goiserns Album bleibt sicherlich keine Eintagsfliege. Aber die Wucht manch seiner früheren Werke dringt nicht unbedingt aus jedem dieser Lieder. Und das hat seinen Grund.

Hubert von Goiserns Alleinstellungsmerkmal in der Riege sehr beachtenswerter Musiker ist seine Gabe, Klänge der Welt sich nicht untertan zu machen, sondern sich ihnen in befruchtender Absicht zu nähern. Das hat schon in der Phase mit den Alpinkatzen funktioniert, da war Rockmusik pur der Partner des Volksmusikalischen. Wunderbar war auch die Symbiose nach seinem Tibet-Aufenthalt, festgehalten auf der CD "Trad. II". Sein Meisterstück in Sachen musikalischer Einswerdung mit dem Fremden aber lieferte Hubert von Goisern mit seiner abenteuerlichen Donaureise, bei der er flussabwärts die Städte und ihre Musik abklapperte auf der Suche nach Gemeinsamkeiten oder zumindest Mitspielmöglichkeiten. Der aktuelle Dokumentarfilm "Brenna tuats schon lang", ein sehr intensives Porträt dieses Musikers, gezeichnet von Marcus H. Rosenmüller, zeigt auch diese Phase in beeindruckender Weise.

Nun also Amerikas Süden, über dessen Sound Hubert von Goisern schreibt, Countrymusik habe ihn früher "erschauern lassen". "Federn" startet mit "Snowdown", einem erdigen, harten Blues, einem ausgetüftelten Gitarrensolo und einer herrlich schmutzigen Hammond, höchstwahrscheinlich die B3 von Wolfgang Staribacher, Goiserns Weggenossen früherer Zeiten und ihm musikalisch durchaus ebenbürtig. So hätte es durchaus weitergehen können. Doch schon da ist Schluss mit den blauen Noten, "Stoansteirisch" ist ein Traditional, eine Art Polka, in der nach Goiserns Logik natürlich gejodelt wird. Und mit diesem Lied beginnt das Problem: Es ist, natürlich, perfekt musiziert, perfekt produziert, bis ins Detail durchdacht und voller Fröhlichkeit. Aber man vergisst schnell, dass es ein Lied aus den Südstaaten ist. Anders, aber doch ähnlich verhält es sich mit "Es is wahr", der Goisernschen Adaption von "Jambalaya" von Hank Williams und auch mit "Amazing Grace", das hier "So a Segn" heißt. Es sind Neuinterpretationen von Evergreens, sie sind neu betextet, sie werden auf anderen Instrumenten gespielt, auch wenn beim Hank Williams-Lied die Steelgitarre mitjault. Doch irgendwie fehlt das Gefühl, fehlt der Groove der Heimat dieser Lieder.

Dabei hat Hubert von Goisern Groove soviel wie Obelix Kraft. Der Grund für diesen Umstand muss also woanders liegen. Er findet sich vielleicht schon in "Wie der Wind", einer Goisern-Komposition, die in ihrer Zartheit an "Hearstas ned" erinnert, bis auf ein paar Steelgitarren-Einwürfe, die das Lied wohl alabamasieren sollten. Das aber gelingt hier genauso wenig wie bei "I bin ganz alloa", einer Wiederaufnahme von der frühen "Obnodauntn"-CD aus der Alpinkatzen-Zeit, die sich sehr akribisch Thelonius Monks "Blue Monk" annimmt, was zumindest geografisch-politisch auf "Federn" seine Berechtigung hat, denn Thelonius Monk ist in North-Carolina geboren, einem Staat, der sich im Bruderkrieg den Südstaaten angeschlossen hat.

Fast noch schöner gelungen ist Hubert von Goisern die Adaption des Blind-Faith-Klassikers "Can't Find My Way Home". Hier heißt es "Neama vü Zeit". Er hat es schon länger im Repertoire. Indem er das Stück mit Steelguitar unterlegt, spürt Goisern auch textlich der Vorlage nach (". . .find i ohne di' nit hoam").

Gerade hier aber drängt sich die Frage nach dem selbst auferlegten Konzept auf: Winwood ist Brite, und Blind Faith hatten einen der wenigen großen Live-Auftritte im Madison Square Garden von New York. Genau andersherum erklärt sich zwar "Corinna Corinna", ein uralter Song, den auch Bob Dylan schon im Repertoire hatte. Er stammt aus der Mississippi-Gegend und wurde in Dubuque, US-Bundesstaat Iowa, erstmals aufgenommen. Ein ziemlich astreiner Blues, dem deutlich anzuhören ist, wie sich die Musiker um ein Mississippi-mäßiges Klangbild bemühen, aber so lauter, rein und überproduziert, dass man eher den Goisern nahen Hallstädter See vor sich sieht als den großen Fluss Amerikas.

Gäbe es diesen selbst auferlegten Vorbehalt nicht, "Federn" wäre ein wunderschönes, lyrisches, klangfeines Album, ein "echter" Hubert von Goisern mit berechtigten Referenzen an die Vergangenheit, so zum Beispiel "Am helllichten Tag", das in seiner Klarheit wiederum an die Alpinkatzen-Zeit erinnert. Es liegt vielleicht an den zwar grandiosen, aber eben sehr europäisch geprägten jetzigen Mitmusikanten, und dadurch auch an der ja immer auch biografisch geprägten Art des Musizierens, dass sich das Südstaaten-Gefühl nicht so recht einstellen mag. Es wäre, um diese These zu überprüfen und vielleicht auch, um Hubert von Goiserns Konzept aufgehen zu lassen, spannend, nähme er all seine Ideen mit, flöge noch einmal dorthin und lüde ortsansässige Musikanten ein ins Studio, noch besser in eine Kneipe mit Bühne, sage zu sich laut und deutlich: "Da capo" und mache "Dedern II". Die Wette gilt: Es würde funktionieren.

© SZ vom 05.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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