Alben des Monats:Das ist die beste Musik im März

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Die Alben des Monats (im Uhrzeigersinn: Young Fathers, Sam Vance-Law, Camp Cope, Jack White, Meshell Ndegeocello und Kreisky. (Foto: Label)

Jack White sinniert über die kollektive Waffenpsychose in den USA, Sam Vance-Law erzählt von nächtlicher Geilheit und der Homo-Ehe. Außerdem: Der Sound, der die düstere Brexit-Zukunft doch noch retten könnte.

Camp Cope - "How to Socialise & Make Friends" (Run for Cover)

Gleich zu Beginn eine Platte aus Australien, die so wichtig und richtig ist, dass sie auf keinen Fall ungehört am Rest der Pop-Welt vorbeiziehen darf. "How to Socialise & Make Friends" (Run for Cover) heißt sie, aufgenommen haben sie Camp Cope aus Melbourne und sie ist nichts weniger als ein feministisches Manifest, getextet aus den schmerzlich realen Alltagserlebnissen von drei jungen Frauen. Neun rasend zornige Songs über die unbewussten Manipulationen, die antrainierte Selbstsabotage und den Machismo der Musikbranche: "It's another man telling us we can't fill up the room/ It's another man telling us to book a smaller venue". Ein Album, das der einen Hälfte der Menschheit die Geschichten schenkt, die tatsächlich von ihr handeln. Und der anderen Hälfte die Chance, zu spüren, wie viel komplizierter es leider tatsächlich noch ist, als Frau durch diese Welt zu gehen.

Julian Dörr

Kreisky - "Blitz" (Wohnzimmer Records)

Es gibt gute Nachrichten im Pop in diesem Monat, sehr gute sogar, ein perfektes Gegengift: Die neue Platte "Blitz" (Wohnzimmer Records) der österreichischen Indie-Band Kreisky um den ohnehin uneingeschränkt verehrungswürdigen Sänger, Songwriter und Austrofred Franz Adrian Wenzl ist da. Zackige Postpunk-Schrammel-Gewitter vom Feinsten und mal wieder ein paar neue beste Zeilen aller Zeiten des supersmarten Gaga-Pop ("Du bist mein Bauch, Bein, Po / Mindestens bis vier / Und ich sattle den Renault / Und ich bin dann nicht mehr hier") - und jetzt schon der Songtitel des Jahres: "Veteranen der vertanen Chance".

Jens-Christian Rabe

Meshell Ndegeocello - "Ventriloquism" (Naive)

Eine gute Cover-Version ist eine Kunst für sich. Denn wenn der Original-Song sehr bekannt und die neue Version ihm zu ähnlich ist, heißt es schnell: Ranschmiss! Andersherum wird es schnell als Respektlosigkeit verstanden, wenn sich das Cover vom Original zu weit entfernt. Meshell Ndegeocello weiß genau, wie man Songs sanft an die Hand nimmt und an die richtigen neuen Orte führt. Schon ihre Neo-Soul-Version des Bill-Withers-Hits "Who Is He And What Is He To You" (1996) war hervorragend. Für ihr neues, fantastisches Album "Ventriloquism" (Naive) hat die amerikanische Bassistin und Sängerin, die schon mit Madonna und den Rolling Stones gearbeitet hat, nur Cover-Versionen aufgenommen. Die Prince-Ballade "Sometimes It Snows In April" singt sie beinahe löchrig, aber ergreifend. Dem TLC-Hit "Waterfalls" spendiert sie ein verträumtes Steel-Guitar-Solo, so dass die verborgenen Blues-Qualitäten des Songs hervortreten. Auch wunderbar: wie Ndegeocello den Sade-Hit "Smooth Operator" mit polythythmisch vertracktem Jazz-Schlagzeug zum Dance-Song verwandelt.

Jan Kedves

Sam Vance-Law - "Homotopia" (Caroline)

"I love god, but he doesn't love me", singt der kanadische Musiker in dem Song, den er nach dem englischen Schimpfwort "Faggot" benannt hat (die deutsche Übersetzung Schwuchtel ist dagegen vergleichsweise harmlos). Und damit gar nicht erst Verwirrung darüber herrscht, worum es auf seinem Debütalbum geht, hat Sam Vance-Law es "Homotopia" (Caroline) genannt: Die zehn kammermusikalischen Popsongs darauf sind Mini-Manifeste über das Schwulsein - amüsant, direkt, selbstironisch und mit gutem Gespür für Pointen, wie ein schwuler Dean Martin im Jahr 2018. Arrangiert sind die Stücke mit feiner Hand zwischen allen möglichen atmosphärischen Gewichtsklassen: vom breitbeinigen Schunkelblues über federnd gezupfte Geigen bis zu wässrig und durchscheinenden Orchester-Dunstwölkchen (koproduziert hat Konstantin Gropper von Get Well Soon). Und die dunkle, melancholische Stimme, die immer ebenso sehr Erzähl- wie Gesangsstimme ist, trägt durch die Erzählungen über Dates, die mit blutigen Nasen enden, narzisstische Spiegelungen, nächtliche Geilheit und die Homo-Ehe.

Annett Scheffel

Jack White - "Boarding House Reach" (Third Man)

Was ist mit Jack White los? Der Mann, der mit dem Gitarrenriff von "Seven Nation Army" die Fußballstadien der Welt zum Grölen brachte und insgesamt zwölf Grammys im Regal stehen hat, scheint schon längst kein Interesse mehr an so Schnödem wie Hits zu haben. Auf seinem dritten Soloalbum "Boarding House Reach" (Third Man) wildert der 42-Jährige auf irre verzettelte und verdaddelte Weise durch die Archive der Americana - Blues, Country, Gospel, Hip-Hop, Punkrock, alles kommt irgendwie mit rein. In "Over and Over and Over" klingt das tatsächlich so, als habe ein Hip-Hop-DJ die diversen Fragmente an den Plattentellern zusammengecuttet. Sehr ernst wird es am Schluss, in der Country-Miniatur "What's Done Is Done". Hier bricht sich nämlich zu den Akkorden eines verstimmten Pianos und einer leiernden Orgel der verzweifelte Machismo Bahn: "Nichts fühlt sich mehr echt an, ich komm' nicht mehr dagegen an, ich lauf jetzt runter in die Stadt und kauf mir eine Knarre", grob übersetzt. Geschossen wird erst später, das heißt, wer hier sterben muss, erfährt man auf dem Album nicht mehr. Aber dass es um die kollektive Waffenpsychose in den USA und den Terror der weißen durchgeknallten Männer geht, das versteht man auch so.

Jan Kedves

Yo La Tengo - "There's A Riot Going On" (Matador)

Man muss das jetzt mal festhalten: Keine, wirklich keine Band dieser Welt kann sich so herrlich langsam in einen Song hineinschütteln wie Yo La Tengo. So auch auf der neuen, fast bis zur Fadheit zerdehnten und doch ganz und gar fantastischen Platte "There's A Riot Going On" (Matador). Die Klangwelt von Yo La Tengo entfaltet ihre Kraft im Nebulösen, im Gerade-So-Entrückten, dort, wo die Phrase "zum Greifen nah" tatsächlich greift. Ein Sound, wie der nächtliche Blick von Hoboken, New Jersey, aus - der Heimatstadt der Band - auf die glitzernde Skyline von Manhattan. Fern und doch so nah auf der anderen Seite des Hudson River. Sehnsüchtig angezerrte Gitarren und zwei Stimmen, für die das Englische das wundervoll lautmalerische Wort soothing kennt. Beruhigend, ja, wohltuend, auch, aber das wird dem heilsamen Schmerz dieser Musik nicht gerecht. Yo La Tengo haben sich in ihrer langen Karriere an der Frage abgearbeitet, wie leise man das Laute eigentlich drehen kann, sodass es einem immer noch Hirn und Herz durchpustet. Auf "There's A Riot Going On" haben sie die perfekte Lautstärke gefunden.

Julian Dörr

Young Fathers - "Cocoa Sugar" (Ninja Tune/Rough Trade)

Die schottische Band Young Fathers mit liberianisch-nigerianischen Wurzeln hat schon 2014 für ihr Debüt "Dead" den Mercury Prize gewonnen, den vielleicht einzigen wirklich interessanten Musikpreis der Welt. Nun erscheint ihr drittes Album "Cocoa Sugar" (Ninja Tune/Rough Trade). Es ist ein warm knisternder Genre-Mix geworden, gleichzeitig kosmopolitisch und zutiefst britisch. Besserer Pop für eine bessere Welt. Der himmlisch geklimperte Gospel von "Lord", die verwehten Stammestrommeln von "Fee Fi", der Africana-Rap von "Holy Ghost". Die Young Fathers machen keine schwarze Musik, sie machen politische Musik, eine Musik die Grenzen überschreiten und verwischen will. Ein Album wie eine Mahnung an die düstere Isolation der Brexit-Zukunft.

Julian Dörr

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