Aktuelles Lexikon:Feigenblatt

Die Kunst der Antike und der Renaissance zeigt Menschen oft nackt. Immer wieder mussten die schönen Körper aber verhüllt werden, wie auch jetzt wieder in Rom.

Von Kia Vahland

Götter sind äußerlich auch bloß Menschen, nur schöner - so jedenfalls stellten Künstler der Antike sich die Götter vor und meißelten ihre Figuren von Venus oder Apoll ohne zu viel störendes Textil. Nacktheit stand für Göttlichkeit. In der christlichen Kunst erinnerte sie dagegen daran, dass Adam und Eva sich im Paradies Gott widersetzt hatten.

Die beiden bekamen Feigenblätter vor die Scham. Als in der Renaissance antike Skulpturen wiederentdeckt wurden, begeisterten sich Künstler für das Körperideal der Alten: In Malerei und Skulptur durfte der Mensch sich nun zeigen, wie Gott ihn schuf. Michelangelo malte scharenweise unverhüllte Knaben an die Decke der Sixtinischen Kapelle in Rom. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1564 musste er erleben, wie den ebenso nackten Heiligen auf seinem "Jüngsten Gericht" in der Sixtina Höschen angemalt wurden, auf päpstlichen Befehl. In den kommenden Jahrzehnten, in der sittenstrengen Epoche der Gegenreformation, bekämpfte der Vatikan den Anblick von nackter Haut in Kirchen. Clemens VIII. ließ Kruzifixe in römischen Kirchen verschleiern und Skulpturen der Maria Magdalena verhüllen. Feigenblätter und angemalte Höschen genügten jetzt nicht mehr. Diese Woche folgten die Römer dieser schwierigen Tradition und sperrten antike Venusfiguren in den Kapitolinischen Museen in Holzkästen, weil der iranische Präsident zu Besuch kam.

© SZ vom 27.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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