Akademietheater Wien:Liebe allein reicht nicht

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Joël Pommerats "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" skizziert in 18 Szenen ebenso viele Beziehungsdramen. Ein Glanzstück reiht sich an das nächste - hinter jeder dieser Miniaturen steckt eine Lebensgeschichte.

Von Wolfgang Kralicek

Die Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea erscheint - zumindest aus heutiger Sicht - undenkbar. Ähnlich prekär wie das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang ist für den französischen Dramatiker Joël Pommerat die Liebesbeziehung zweier Menschen. Sein Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" (2013) handelt nicht von geopolitischen Konflikten, sondern von der Liebe. In 18 Szenen werden ebenso viele kleinere und größere Beziehungsdramen angespielt. Da ist die Ehefrau, die sich nach jahrzehntelanger, harmonischer Ehe scheiden lassen möchte, weil da einfach keine Liebe ist. Oder, umgekehrt, die Frau, die ihren geliebten Mann verlässt. Begründung: "Liebe reicht nicht."

Der 1963 geborene Joël Pommerat, ein gelernter Schauspieler, bringt seine Stücke seit 1990 mit seiner eigenen Truppe, der Compagnie Louis Brouillard, selbst auf die Bühne; zwei Dutzend waren es bisher, fast jedes Jahr eines. In Frankreich ist er berühmt, unter anderem war ihm beim Festival von Avignon 2006 eine Personale gewidmet; im deutschen Sprachraum ist Pommerat erst seit ein paar Jahren präsent. Besonders der Linzer Schauspieldirektor Gerhard Willert hat sich um den Autor verdient gemacht; er inszenierte 2014 in Linz auch die deutschsprachige Erstaufführung der "Koreas".

Hinter jeder dieser Miniaturen steckt eine Lebensgeschichte

In Wien war, voriges Jahr bei den Festwochen, ein Gastspiel der französischen Originalproduktion zu sehen. Pommerat hatte das Stück auf einer lang gezogenen Arenabühne mit Zuschauertribünen an beiden Seiten inszeniert; wie auf einem Laufsteg zogen die Episoden am Publikum vorüber. Der Revue-Charakter geht auf einer Guckkastenbühne wie dem Akademietheater naturgemäß verloren, im Grunde aber ist die Zweitbühne des Burgtheaters ein idealer Rahmen für diese Serie intimer Szenen. Regisseur Peter Wittenberg - er war Peymann-Assistent am Burgtheater und arbeitete jetzt nach langer Zeit erstmals wieder hier - inszeniert vom Blatt und auf einer beinahe leeren Bühne; sogar die Trennwand, die in manchen Szenen zum Einsatz kommt, hat Bühnenbildner Florian Parbs als Kopie der Brandmauer gestaltet. In diesem puristischen Rahmen reihen die fünf Schauspielerinnen und vier Schauspieler, die insgesamt 27 Frauen und 24 Männer darstellen, ein szenisches Glanzstück an das andere.

Herzzerreißend komisch ist zum Beispiel die Szene, in der ein Mann (Martin Reinke) einer Hure (Petra Morzé) mitteilt, er könne nicht mehr zu ihr kommen, weil er "jemanden kennengelernt" habe - und erst dann begreift, dass die Prostituierte ihn all die Jahre wirklich geliebt hat. Dass der Freier Priester ist, spielt nur insofern eine Rolle, als die emotionale Unbedarftheit des Mannes so nur noch peinlicher wird. Schön auch, wie in einer anderen Szene aus einer tragischen Situation eine heiter-komische wird: Ein Mann (Reinke) besucht seine an Amnesie oder Demenz leidende Frau (Dorothee Hartinger) wie jeden Tag in der Klinik, sie kann sich an nichts erinnern. Aber jeden Tag verliebt sich wieder in ihn. In manchen Episoden verweist das Stück auf verwandte Werke wie Schnitzlers "Reigen" oder Bergmans "Szenen einer Ehe"; auch eine Referenz an Albees Ehedramenklassiker "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" findet sich bei Pommerat: Ein - wie sich herausstellt: kinderloses - Ehepaar (Dörte Lyssewski und Markus Hering) kommt nach Hause und macht die Babysitterin (Frida-Lovisa Hamann) zur Schnecke, weil die Kinder weg sind.

Fast jede Szene ist, für sich genommen, eine Freude. Alle zusammen sind dann aber doch zu viel des Guten. Das liegt zum Teil daran, dass die Wiener Inszenierung mit 140 pausenlosen Minuten eine halbe Stunde länger dauert als die Originalversion. Es liegt aber auch in der Natur der Sache: Hinter jeder dieser Miniaturen stecken ganze Lebensgeschichten, zumindest aber abendfüllende Stücke, die man sich als Zuschauer dazu denken muss. Das wird im Verlauf des Abends immer anstrengender. "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas" ist wie eine Schachtel erlesenen Konfekts. Jede dieser szenischen Pralinen schmeckt köstlich, aber wenn man sie alle aufgegessen hat, liegen sie schwer im Magen.

© SZ vom 03.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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