Abschied in Philadelphia:Methusalem mit Taktstock

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Wolfgang Sawallisch, der fast 80-jährige Über-Kapellmeister, wurde gerade nach 10-jähriger Leitung standesgemäß mit Beethovens Neunter in Philadelphia verabschiedet. Doch an einen Ruhestand ist bei ihm noch lange nicht zu denken.

Wolfgang Schreiber

Für einen Kapellmeister eigentlich kein Alter: mit kaum achtzig das Abschiedskonzert als Chefdirigent eines großen Symphonieorchesters, es folgen Gastdirigate: weltweit, unverwüstlich, hoch bezahlt, bewundert und geehrt. Dirigentenkarrieren wie die von Wolfgang Sawallisch, der gerade sein letztes Konzert als Chef des Philadelphia Orchestra absolviert hat, mit Beethovens Neunter natürlich, pflegen so oder so ähnlich in die Jahre zu kommen. Nächste Termine: Ende Juli Festspielkonzert in München, Ende August 80. Geburtstag, Ende September Geburtstagsfeier im Cuvilliéstheater, anberaumt von der Bayerischen Staatsoper. Konzerte in Zürich, sonstwo.

(Foto: SZ v. 13.05.2003)

Dirigenten im gesegneten Alter, rüstig bei der Arbeit statt im Ruhestand, das war und ist keine Seltenheit: Toscanini, Stokowski, Monteux, Celibidache, Sanderling, Wand - die Liste der Methusaleme mit Taktstock im 20. Jahrhundert ist lang. Auch Wolfgang Sawallisch, schon vom Typ her der drahtig-intelligente, nervös-bewegliche Musiker, Pianist, gerät nun, fast überraschenderweise, in die höhere Altersgruppe. Das Körpertraining am Dirigentenpult, die Disziplinierung einer 100-köpfigen Truppe, die Bewältigung komplizierter, auswendig dirigierter Orchesterpartituren, das alles hält auch ihn elastisch und die Öffentlichkeit bei Laune. Der New York Times jedenfalls war das Finale von Philadelphia Grund genug, in einem langen Artikel Bilanz zu ziehen, Sawallisch zu würdigen.

Den deutschen Kapellmeister alter Schule und Tradition verkörperte Sawallisch schon in frühen Jahren, blieb dem Typus treu: dem Idealbild feinster Handwerklichkeit und von Traditionalismus, erworben durch das geduldige Einsammeln von praktischer Erfahrung, Wissen von Grund auf. Langsam reifte er - über die Stationen Augsburg, Aachen, Wiesbaden, Köln, Hamburg - heran zu einem der klügsten Orchesterleiter Deutschlands, der Anfang der Siebziger bereit war, die musikalischen Geschicke der Bayerischen Staatsoper zu übernehmen.

In München, der Heimatstadt, war er wieder bei seinen Anfängen und scheinbar am Ziel angelangt. Als Operndirektor und GMD zog er, anfangs, mit August Everding, dem quirligen Staatsintendanten, an einem Strang. Dann kamen Trübungen, dazu technische Pannen. Die künstlerische Bilanz allein blieb positiv - nicht nur dank der Aufführungen aller Opern von Wagner und von Richard Strauss. Endlich wollte er, wie Wotan, den Abschied - und es kam Peter Jonas.

In Japan erscheint Sawallisch regelmäßig am Pult, ist er Kultfigur. Und Amerika lockte: 1993 übernahm er das legendäre Philadelphia Orchestra, lehrte Amerikaner die Tugenden des deutschen Kapellmeisters: Fleiß, Solidität, den Ernst des klassisch-romantischen Repertoires - Bach, Beethoven, Brahms, Bruckner. Bei den kommenden Münchner Opernfestspielen wird Sawallisch einen weiteren ,B'-Komponisten dirigieren, ein Mitbringsel - die erste Symphonie des Amerikaners Samuel Barber. Und die Vier letzten Lieder von Richard Strauss. Der Tod seiner Frau schmerzt ihn, er habe ein paar gesundheitliche Probleme, heißt es. Andere sagen: Die Ärzte finden nichts, er kann arbeiten.

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