Neues Album von Nick Cave:In der Werkstatt des Schwarzromantikers

Nick Cave and the Bad Seeds treten in Berlin auf

Nick Cave tritt immer noch ganz in schwarz auf - bei seiner Musik spürt man allerdings viel Neues. 

(Foto: Britta Pedersen/dpa)

Mit düsteren Bildern umgibt sich Nick Cave noch immer - und doch ist da etwas Neues zu spüren. Der Sänger hat einen Weg gefunden, mit dem er seinen schwarzromantischen Fetisch legitimieren kann. Ein Treffen.

Von Joachim Hentschel, Berlin

Erst mal: sowas Ähnliches wie ein Witz. Kommt Nick Cave zum Herrenschneider. In dem kleinen Laden in London-Soho, den er schon seit über zwanzig Jahren besucht, nicht in der Savile Row, ein bisschen bescheidener. Er kommt also rein und sagt, er brauche einen neuen Anzug. Antwortet der Schneider: "Sehr schön, Herr Cave! Welche Farbe soll es denn sein?" Cave, kurz verdattert, fragt zurück: "Wie bitte, welche Farbe? Raten Sie doch mal!"

Okay, nicht richtig lustig. Dafür wirklich passiert. Nochmal, zur Sicherheit: Nick Cave, der große Schauermann des Songwriter-Rock'n'Roll, der Albdruck-Entertainer, der unheilige Bimbam, der böse Märchenonkel, Stockdunkelromantiker, Rattenfänger von Punkheim - welche Farbe trägt der wohl? Ein Gag, den man übrigens beliebig erweitern kann. Wie trinkt Nick Cave seinen Kaffee? Auf welche Streifen tritt er, wenn er über den Zebrastreifen läuft?

Wenigstens hat hier mal ein Künstler die öffentliche Rolle gefunden, die ihm richtig gut zu gefallen scheint, dauerhaft. Februar 2013, ein Berliner Mittwochmittag, acht Stunden vor Caves Konzert im Admiralspalast, bei dem er mit seiner Band The Bad Seeds das neue, auch schon fünfzehnte Album "Push The Sky Away" vorstellen wird. Natürlich hat er den schwarzen Anzug an, selbstverständlich ist er riesengroß. So schlank, wie man mit 55 nur sein kann, wenn man lange und konsequent genug Heroin genommen hat.

Ach, die populären Mythen über den Drogenkonsum, die seien doch stark übertrieben, sagt Cave. Zieht dabei kurz die marderschwanzdicken Augenbrauen hoch, was einen Knautsch in seiner hohen Stirn macht. Trinkt nichts beim Interview, führt mit den Handgelenken typische Dichterbewegungen aus. Sagt: "Die Themen, über die ich singe, haben sich kaum geändert. Der Knochen, an dem ich nage, ist noch derselbe wie früher."

Ringkampf zwischen Engeln und Teufeln

Früher, in den achtziger Jahren, sang Nick Cave den Blues der Apokalypse. Punksongs, brennendes Zeug, das wie aus uralten Folianten rezitiert klang. Gekrächzt, geheult, gemenetekelt aus der Sicht von Frauenmördern, Wegelagerern, Hellsehern, mit biblischem Grusel, blutigen Fäusten. Cave imaginierte die Geburt von Elvis Presley - also die Geburt des Pop, sozusagen - als Ringkampf zwischen Engeln und Dämonen, in einer Gewitterwolke über Tupelo, Mississippi. 1984, von Australien über London nach West-Berlin gezogen, trat er mit dem Elvis-Song "In The Ghetto" sogar im ARD-Fernsehen auf, als Schock-Kasper mit schwerem Haarbusch, kalkbleichem Gesicht. Cave war in der Poplandschaft der Achtziger so etwas wie der Bestatter im Wilden Westen, der ständig mit dem Maßband umherschleicht, um die Leute für ihre Särge auszumessen. "Er entblößte die Abgründe der weißen Seele", fasste ein ungenannter Autor zusammen, als die Zeitschrift "Tempo" Caves erste Platte "From Her To Eternity" in der Liste der wichtigsten Alben der Dekade auf Platz 38 wählte.

Er wurde so unsagbar gebraucht, damals. Als Gesicht, als Körper für die unscharfe Bedrohung, die man spürte, wo immer man sich auch verkroch. Die Untergangsstimmung, nicht nur im Mauerberlin. Cave, der Mann mit der Atombombenfrisur, mit der majestätisch glühenden Endzeitvision, der Proto-Beatnik, der der Depression endlich den dringend nötigen lyrischen Überbau gab. Dass so einer nie in der Hochkultur landen könne, war der kurzsichtigste Trugschluss überhaupt. Er kam ja genau zu der Zeit, als das blütenreine, nüssefressende Toskana-Künstlertum plötzlich als suspekt galt. Als eine gewisse, angemessene Zerstörtheit nützlich wurde, um auf Theaterbühnen vorgelassen zu werden. Schon 1987 hämmerten Cave und seine Band in Wim Wenders' "Der Himmel über Berlin".

Nick Cave will über das Leben schreiben

Aber wer braucht ihn heute noch? Heute, wo die jungen Leute längst ihre eigenen Vampire haben? Wenn man Nick Cave selbst fragt, beim Interview in Berlin, ob dieses Image des ewigen Moritatensängers und Alttestamentlers nicht manchmal sehr lästig, sogar schädlich sei für die Kunst - dann antwortet er das, was jeder vernünftige Mensch sagen würde. Dass er eigentlich gar nicht über den Tod schreibe, sondern über das Leben. Dass es, zugegeben, taktisch unklug gewesen sei, im Jahr 1996 nochmal ein ganzes Album mit Mörderballaden zu veröffentlichen (das mit dem berühmten Duett, in dem er Kylie Minogue im Wildrosenhain mit einem Stein erschlug). Die Leute hätten halt den Witz nicht kapiert. "Ich liebe Kontrapunkte", erklärt Cave. "Eine Gedichtzeile mit der folgenden zu vergewaltigen."

Wertvolle Musik zum Verführen und Versenken

Man vergisst die unbeantwortete Frage ja selbst, wenn man "Push The Sky Away" auflegt, die neue Platte von Cave und seinen Bad Seeds. Weil sie derart phantastisch gut ist, eine Verführung und Versenkung, ein sanft vibrierender Kloß im Hals, ein mattdunkler Gang mit einem Feuer am Ende, manchmal auch eine ganze Menge Leviten, die der Dichter uns liest. Im "Higgs Boson Blues" zum Beispiel, dem Gottesteilchen-Blues, in dem der Erzähler sich im Auto auf den Weg Richtung Genf macht, um mal im CERN-Institut nach dem Rechten zu sehen, dabei am Wegesrand den 1938 ermordeten Sänger Robert Johnson aufgabelt, oder so ähnlich. Musik, die man ganz bildungsbürgerlich wertvoll finden kann, die aber auch bestens taugt, um dazu richtig fest ins Kissen zu beißen.

Blutige Krampfhände und Jungfrauen

Natürlich gibt es auch dieses Mal wieder die Bäume, die wie blutige Krampfhände in den Himmel ragen, und die Jungfrauen, die am Wasser spielen und nichts vom Unheil ahnen. Und dennoch ist da etwas Neues zu spüren. Eine Ebene, die man bei Cave vorher noch nie wahrgenommen hat, eine Art Relativierung der Bilder, dichterische Selbstreflexion. Am buchstäblichsten in "Finishing Jubilee Street", einer Nachschrift zum weiter vorn auf dem Album stehenden Stück "Jubilee Street": Ähnlich einer erweiterten, auf eigene Beine gestellten Fußnote berichtet der Erzähler, wie ihm die Gedanken für seine Texte im Halbschlaf zufliegen. Wie er fast detektivisch durch die Träume stapft, um die eigenen Geschichten auszurecherchieren.

Man könnte auch sagen: Nick Cave - der Dichter als alternder Mann, Familienvater, in Brighton residierender Abstinenzler - hat endlich einen gangbaren Weg gefunden, mit dem er seine Kindsköpfigkeiten, seinen schwarzromantischen Fetisch schrifstellerisch legitimieren kann. Indem er uns mitnimmt in die Werkstatt. Uns mal kurz die Patschhand in das Feuer hält, über dem er seine Eisen schmiedet. Den Notizblock auf dem Nachttisch aufblättert. Eine Sonderauflage von "Push The Sky Away" erscheint sogar mit kleinem Begleitbuch, in dem Caves Typoskripte der neuen Songs zu sehen sind, inklusive Korrekturen, Schwärzungen, Fotos. So, scheint er uns zu sagen, könnt ihr eure Träume bewahren. Auch die hässlichen. Wenn ihr euch traut, so wie ich.

Und obwohl er an diesem Mittag im Berliner Hotel ein eher zäher, reservierter Gesprächspartner ist, bricht aus Nick Cave plötzlich doch noch ein Monolog heraus, ein grandioser. "Was ich an Rockstars so interessant finde", sagt er, unvermittelt, "ist das abgrundtief Fremdartige an ihnen. Sie haben sich irgendwann selbst erschaffen, eine Maske aufgesetzt, die sie nie wieder absetzen können. Leute wie Bruce Springsteen tun zwar so, als wären sie nah dran am Mann auf der Straße, aber in Wahrheit sind sie - Monster. Und das sollen sie auch sein. Die Dinge des Herzens zu übertreiben, zu verklären, das ist doch unsere Aufgabe." Ist das jetzt ein Widerspruch zur Poetologie von eben? Wer spricht da eigentlich? Irgendwie ist der Mann uns über.

Am Abend, vor 1800 Leuten im bis zum oberen Theaterbalkon besetzten Admiralspalast, führt er mit Band, Streichquartett und Kinderchor das neue Album auf, nicht schwer, sondern herrlich transparent. Verwandelt sich kurz in Elvis, dann in Sinatra, dann wieder zurück, singt atemberaubend. Nach dem letzten Song dreht Nick Cave sich zu den jungen Backgroundsängern um. "Kids, hier dürft ihr leider nicht mitsingen. Aber schaut zu und lernt!" Dann donnert, blitzt, lärmt es los, "From Her To Eternity", von der allerersten Platte, 1984, Heroinmusik.

Das Monster schreit. Es scheint ihm gut zu gehen.

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