70. Geburtstag:Geheimintendant und ewig junges Genie

Benjamin Henrichs ist Regisseur, Arrangeur, Hexenmeister und einer der bedeutenden deutschen Kritiker im Bereich Theater und Literatur. Eine Widmung zu seinem 70. Geburtstag.

Von Willi Winkler

Athene, heißt es, entsprang dem Haupt ihres Vaters Zeus in voller Rüstung, zum Kampf entschlossen und die Klügste weit und breit. Auch der Theaterspieler Benjamin Henrichs musste nicht wachsen und reifen, er kam 1969 als fertiges Genie in die Süddeutsche Zeitung. Joachim Kaiser gab dem 23-jährigen Studenten die dumme, kleine Komödie "Geliebte Hexe" zur Rezension, aber der junge Mann brillierte wie ein alter Meister, sprach von Künstlerfleiß und Existenzangst auch auf dem Boulevardtheater, und vor allem verachtete er die Schauspieler nicht. Kunststück, kam er doch selber vom Theater; sein Vater war Intendant des Resi.

Der Sohn sollte ihn als Regisseur, Arrangeur und Hexenmeister bald weit übertreffen. Denn 1973 ging Henrichs nach Hamburg, und zu seinem und unserm Glück nicht zum Spiegel, sondern zur Zeit, die unter seiner Regie zum großen anarchistischen Unternehmen aufstieg. Vorne erklärte Theo Sommer die Welt, hinten im Feuilleton nahm Henrichs sie mit Eifer und Zorn auseinander. "Lasst mich auch den Löwen spielen!", verlangt der unersättliche Zettel im "Sommernachtstraum", aber Henrichs musste gar nicht Chef sein, um zu regieren. Im Augenspiel über den Tisch hinweg verständigte er sich mit Fritz J. Raddatz über die Schaubühne, die sie in der nächsten Ausgabe wieder präsentieren wollten. Nach dem feierlichen Aufmacher über das neueste Bühnenweihfestspiel schrieb der geheime Intendant eine hundsgemeine Glosse oder das Finis.

1998 kam Henrichs zur SZ zurück, wo er auf das Theater leider ganz und gar verzichtete

Wenn ihn das Theater nicht rührte, schwärmte er von Peter Handkes "Kindergeschichte". Wenn gar nichts mehr los war, trieb er mit André Müllers Peymann-Interview die Republik Österreich um ein Haar in den Untergang. Er musste immer spielen. Kann es sein, dass selbst Thomas Bernhard nur eine Henrichs'sche Erfindung war? So wie Peter Stein, Claus Peymann und Luc Bondy - von Bernhard Minetti und Angela Winkler ganz zu schweigen - allesamt von ihm erfunden wurden.

Boris Becker, das wird jeder Kulturhistoriker bestätigen, konnte sich Wimbledon-Sieger erst nennen, nachdem ihm Henrichs sein legendäres Rührstück "Leimen wird 18" gewidmet hatte. Die Zeit verprasste 1985 zwei ganze Seiten dafür. Selige Zeiten, glückliche alte Welt. Der fliegende Leimener blieb über viele Jahre das Idol von Benjamin Henrichs, dem er so ergeben huldigte wie sonst nur Woody Allen. Nebenbei förderte er den Nachwuchs: Benedikt Erenz, Helmut Schödel und Gerhard Stadelmaier.

Nach einem Feuilletonbeben verließ Henrichs 1998 die Zeit und kam zur Süddeutschen Zeitung zurück, wo er auf das Theater leider ganz und gar verzichtete. Dafür schrieb er seine mozarteischen Streiflichter und am Samstag das Dramolett. Nur das Schwärmen wollte er nicht lassen: Wenn er nicht vor fünf Jahren schlagartig aufgehört hätte, würde er heute Pep Guardiola besingen und hätte ihm damit das Triple erkämpft. Aber gut, wahrscheinlich ist auch Guardiola nur eine seiner Erfindungen. Nun wird das ewig junge Genie Benjamin Henrichs siebzig.

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