Wirtschaftspolitik:Wo bleiben die Ideen?

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In der Wirtschaftspolitik gebe es zu viele Tabus, meint ein Leser als Antwort auf Marc Beises Samstagsessay "Die Zeit des Stillstands".  Die Regierung solle den  Denkansatz fahren lassen, wonach Deutschland keine Fehler mache.

"Die Zeit des Stillstandes" vom 14./15. Januar:

Die von Marc Beise in seinem Samstagsessay festgestellte lustlose Befassung mit wirtschaftspolitischen Fragen in der deutschen Politik wird durch den Wahlkampf nur befördert. Insgesamt ist sie grundsätzlicher Natur. Die im Moment relativ guten gesamtwirtschaftlichen Zahlen tragen zudem ihren Teil dazu bei, dass die Politik sich hinsichtlich mittelfristiger konzeptioneller Fragen der Wirtschaftspolitik bedeckt hält.

Gerade hinsichtlich einer Neugestaltung der EU oder der Euro-Zone sowie in der Handelspolitik aber stehen wichtige Entscheidungen an: Sollte zum Beispiel die Frage der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Binnenmarkt nicht doch grundsätzlich überdacht werden, zumindest für diejenigen EU-Länder, die nicht Mitglied der Euro-Zone sind? Ökonomisch spräche viel dafür, aber politisch scheint diese Frage tabu zu sein. Andere Punkte wären: Stärkere Koordinierung und Abstimmung in Fragen der Fiskalpolitik oder die Zukunft des Euro. Aber da gilt: Am besten im Wahlkampf nicht thematisieren. Insgesamt heißt es: Irgendwie weitermachen wie bisher, da alternativlos (oder so ähnlich). Brexit: Abwarten, was die Briten vorlegen, und bis dahin ruhig sein. Wenn es nur bloße Taktik wäre. Nein, es fehlt an Ideen und Initiativen zur Neugestaltung.

Auch der Autor befasst sich in seiner Kritik ausschließlich mit rein nationalen Fragen. Diese nationale Brille dominierte auch bei der Besprechung der neuen Zahlen des Bruttoinlandproduktes für 2016, nach dem Motto "Deutschland macht fast alles richtig". Die Fehler machen die "anderen". Mit diesem Denkansatz könnte Deutschland eigentlich ohne die EU in der aktuellen Verfassung ganz gut klarkommen. Zumindest würde ökonomisch eine klassische Freihandelszone (Waren und Dienstleistungen) ausreichend sein. Bereits jetzt sind ja Probleme der anderen EU-"Partner" aus deutscher Sicht dadurch zu lösen, dass diese Länder ihre nationale "Wettbewerbsfähigkeit" mit den zur Verfügung stehenden jeweils nationalen Mitteln stärken (vergleiche den Umgang mit der Euro-Krise). Man hat also den Eindruck, dass der hiesige wirtschaftspolitische Denkansatz doch nicht so weit vom britischen (oder gar von Donald Trump?) entfernt ist, wie es zunächst scheint.

Dr. Benedikt Thanner, Unterthingau

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© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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