Weitere Briefe:Indien und Deutschland

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Personen hohen Alters seien in Indien eigentlich eminent verehrungswürdig, meint ein Leser. Doch die "Moderne" habe auch auf dem Subkontinent Einzug gehalten. Ein anderer Leser berichtet von einem Gespräch mit Philipp Jenninger - nach dessen Rücktritt.

Eminent verehrungswürdig

"Wenn du alt bist, sollst du sterben" vom 8. Januar: Was Martina Merten über den herzlosen Umgang mit Alten in Indien schreibt, ist sicher zutreffend. Es gibt aber auch eine andere, sehr alte Tradition im Hinduismus, die gänzlich anders geartet ist. Ihr gilt Alter als eminent verehrungswürdig. Ich kenne mehrere Familien in Bengalen, wo die älteste Person, hochbetagt, die meistverehrte und umsorgte ist. Ein wissenschaftlicher Kollege, Ende 60, stellte seine bedeutenden Forschungen zurück, um den 91-jährigen Vater zu pflegen. Nach altindischer Tradition war das idealtypisch letzte Quartal des Lebens, 60 bis 80, das Alter der Reife,in dem man sich in Würde und selbst gewählter Einsamkeit, etwa als Wanderasket, auf den Tod vorbereitete (samnyasa). Eine Sozialversicherung war überflüssig, denn dem Samnyasin die Bettelschale zu füllen brachte dem Gebenden großes religiöses Verdienst (punyam). Ich habe Indien seit 1974 fast jedes Jahr besucht. Es war zu beobachten, dass die soziale Situation kippte. Zerfall der Großfamilie und die schiere Menschenmasse lässt die besten Traditionen des Landes allmählich sterben, ohne dass ein soziales Netz an deren Stelle getreten wäre. Prof. Adalbert J. Gail, Berlin

Rücktritt von sich aus angeboten

"Der Mann, der zu viel wollte" vom 8. Januar: Heribert Prantl würdigt zu Recht den Rücktritt des damaligen Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger 1988, unmittelbar nach seiner lauteren, aber rhetorisch missglückten Gedenkrede zur Pogromnacht vom 9. November 1938 als "nobel". Helmut Kohl schreibt dazu in seinen "Erinnerungen", bei einem Gespräch mit seinem Freund "führte kein Weg daran vorbei, ihm schweren Herzens den Rücktritt nahezulegen." Mir hat Jenninger gesagt, er habe entgegen der Erinnerung Kohls den Rücktritt von sich aus angeboten. Dafür spielte auch ein unglücklicher Programmzusammenhang eine Rolle. Für den nächsten Tag stand eine USA-Reise des Kanzlers an mit einem ersten Besuch beim World Jewish Congress in New York. Diesen hatte er, Jenninger, selbst über Simon Wiesenthal eingefädelt, weil der Besuch Kohls 1984 in Israel mit seiner Argumentation der "Gnade der späten Geburt" dort teilweise ein Befremden ausgelöst hatte. Dieser neue Kontakt sollte nicht durch das verheerende Auslandsecho auf seine Rede überschattet werden. Dr. Wilhelm Knittel, Staatssekretär a. D., Grünwald

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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