Türkei:Das Verhältnis ist zerstört

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Der Journalist Deniz Yücel ist frei. Doch um welchen Preis ist das geschehen, fragen Leser. Sie sehen in Yücels Freilassung aus türkischer Haft keinesfalls einen Grund zu Dankbarkeit und verweisen auf die schwierigen Beziehungen zu Ankara.

"Gestern Feind, heute Freund" vom 19. Februar sowie "Er ist frei" und "Der lange Weg zur Freiheit" vom 17./18. Februar:

Kreide gefressen

In der Überschrift "Gestern Feind, heute Freund" hat die SZ das Fragezeichen vergessen. Da können der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Clique noch so viel Kreide fressen, das Verhältnis zu Deutschland und Europa ist zerstört. Eine Freilassung reicht nicht. Solange unsere Bundeskanzlerin und andere Politiker als Nazi tituliert werden und damit das ganze deutsche Volk beleidigt wird, ohne dass es eine Rücknahme dieser Äußerung und auch nur einen Hauch einer Bitte um Entschuldigung gibt, kann es keine Freundschaft mehr geben. Und sie können es ja auch nicht lassen, sondern setzen immer wieder einen drauf, siehe die Beschwerde über Cem Özdemir als Terroristen.

Ich möchte das Sündenregister der Türkei noch ergänzen um die militärischen Machtdemonstrationen in der Ägäis gegen Griechenland (Nato-Mitglied), in den Gewässern um Zypern gegen italienische Schiffe (Nato-Mitglied) und gegen die USA in Syrien (Nato-Mitglied). Das ist untragbar, und die Türkei stellt sich damit selbst außerhalb der Gemeinschaften. Das willkürliche Vorgehen gegen Kritiker heute ist nur ein Vorgeschmack auf das, was noch kommt, wenn Erdoğan sich 2019 in den Wahlen durchsetzt. Dieter Bünning, Kiel

Schläge

Ich weiß nicht, wieso man der türkischen Regierung für die Freilassung von Deniz Yücel aus der Geiselhaft dankbar sein müsste. Jedenfalls nicht dankbarer als die Frau, deren Mann sagt: "Heute Abend mach ich meiner Frau eine Freude. Zuerst schlag ich sie, dann hör ich wieder auf." Renata Marx-Adam, München

Das Ringen geht weiter

Welcome back home, Deniz Yücel! Das Foto auf der Titelseite der SZ vom 17./18. Februar mit dem sich auf das Innigste in den Armen liegenden Ehepaar Yücel ist nicht nur menschlich überaus berührend und deshalb ein besonderes. Für alle, die die Geschichte dahinter kennen, darf es, nein, sollte es auch als Statement für die Kraft und den Zusammenhalt einer die Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie liebenden Gesellschaft gesehen und verstanden werden. Die ausschließlich politische Geiselnahme von Deniz Yücel ist nunmehr beendet, der Weg der Türkei hin zum Autoritarismus ist es freilich mitnichten. Dies gilt es trotz aller berechtigter Freude, Erleichterung und Bestätigung über den Erfolg mittels geheimer Diplomatie und öffentlichem Druck um die Freilassung des Welt-Journalisten nach wie vor klar und offensiv zu benennen. Das Ringen um Medien-, Informations- und Meinungsfreiheit muss auf und in jedem Fall unvermindert fortgesetzt werden. Ira Bartsch, Lichtenau

Abgekartetes Spiel

Die Freilassung von Deniz Yücel ist weder der Männerfreundschaft zwischen Gerhard Schröder und dem türkischen Alleinherrscher Recep Tayyip Erdoğan noch dem diplomatischen Geschick des Stand-By-Außenministers Sigmar Gabriel zu verdanken. Vielmehr hat Erdoğan die Gunst der Stunde erkannt, sich mit einem geschickten innen- wie außenpolitischen Schachzug eines leidigen Dauerproblems entledigen zu können, ohne dabei sein Gesicht zu verlieren. Mit der Freilassung Yücels und der gleichzeitigen Verurteilung dreier türkischer Journalisten zu lebenslanger Haft hat er es zudem geschafft, die mediale Berichterstattung in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken. In diesem abgekarteten Spiel wird Sigmar Gabriel die Rolle des Türöffners für zukünftige türkische Panzer-Deals zugewiesen, nachdem er sich zuvor dank des gnädigen Entgegenkommens Erdoğans "Verdienste" in der Causa Yücel erwerben konnte. Mit diesem Trumpf in der Hand könnte Gabriel es doch noch gelingen, sein politisches Überleben als Außenminister zu sichern. Ob er unter diesen Umständen jedoch der richtige Kandidat für dieses Schlüsselministerium ist, wage ich wegen eines zu erwartenden Interessenkonfliktes zu bezweifeln. Roman Stelberg, Bergisch Gladbach

Bereut er es inzwischen?

In den Medien wurde der Entlassung Deniz Yücels aus einem Gefängnis in der Türkei breiter Raum gewidmet. Erstaunlich, wie man sich für ihn eingesetzt hat. Ob er selbst es inzwischen bedauert, sich vor seiner Verhaftung außerordentlich negativ über Deutschland geäußert zu haben? Seine Auslassungen werden nicht wiederholt, dafür heißt es ganz am Rande und kaum wahrnehmbar, es habe sich um Satire gehandelt. Helga Reintrock, Idstein/Taunus

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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