SZ-Werkstatt:Rekordverdächtig

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Thomas Fromm berichtet seit Jahren über VW. Seit der Abgas-Skandal bekannt ist, kommt er aus dem Staunen nicht mehr heraus.

Von Thomas Fromm

Es gab in diesen Wochen Tage, an denen dachte man: Das müsste er ja nun eigentlich sein, der Höhepunkt in dieser Affäre um gefälschte Abgasmessungen und dreckige Diesel-Motoren. Der Tag, an dem der mächtige VW-Chef Martin Winterkorn abtrat, war so einer. Der Tag, an dem der neue Chef Matthias Müller kam und seinen Leuten schwere Zeiten ankündigte, oder auch die Tage, an denen führende Ingenieure beurlaubt wurden. Oder: Dieser Donnerstag, als das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf von 2,4 Millionen Diesel-Fahrzeugen einfach mal so verfügte. Bei jedem anderen Konzern würde eines dieser Ereignisse schon ausreichen - nicht aber bei VW, diesem Großkonzern mit gigantischen 200 Milliarden Euro Umsatz. Wahrscheinlich ist es so: Ein Autobauer, der jahrelang Rekorde einfuhr, ist auch dann noch rekordverdächtig, wenn er mitten in einer weltweiten Manipulationsaffäre steckt. Es ist eben alles eine Frage der "Fallhöhe".

Man hatte gedacht, dass man im Laufe der Jahre verstanden hat, wie dieser Koloss VW in seinem Innern funktioniert. Gelernt, wie die Kultur und die Menschen hinter den Autos und den Motoren ticken. Und dann stellt man fest: Da gibt es noch sehr viel, was man bisher nicht gekannt hatte. Dinge, die ohne diese Affäre wohl nie von ganz unten nach ganz oben gespült worden wären. Man hatte es immer schon geahnt, nun weiß man es ganz genau: Nicht nur die Welt der Manager, auch die der Menschen, die ihre Zeit damit verbringen, Motoren zu bauen, ist eine Welt für sich. Was man gerne wüsste: Wie geht es diesen Menschen eigentlich jetzt, wo immer mehr über ihre Arbeit bekannt wird? Und wie erleben Männer, die noch bis vor ein paar Wochen von allen gefeiert und hofiert wurden, die bei jeder Party im Mittelpunkt standen, eigentlich die Zeit danach?

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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