SZ-Werkstatt:Obiter dictum

Wolfgang Janisch arbeitet seit 2010 als SZ-Korrespondent in Karlsruhe. Der promovierte Jurist, der schon 20 Jahre lang über Rechtsthemen berichtet, sieht seine Aufgabe in erster Linie darin, Juristendeutsch allen verständlich zu machen.

Von WOLFGANG JANISCH

Wer für die SZ in Karlsruhe sitzt, zählt zu den Inlandskorrespondenten, was unbestreitbar korrekt ist, andererseits: Letztlich wird man, wie die Kollegen in Paris oder Warschau, dorthin geschickt, weil man die ortsübliche Sprache beherrscht. Juristen reden eben gern mit Juristen, da reichen ein paar Chiffren, gern auch auf Latein, wie etwa "obiter dictum" ("nebenbei gesagt"). Das ist eine beiläufige Bemerkung, die ein Richter in den Urteilstext eingeschmuggelt hat.

Durch die Europäischen Gerichtshöfe in Luxemburg und Straßburg, die irgendwie auch zum Karlsruher SZ-Portefeuille gehören, ist der juristische Sprachcode bunter geworden, weil ihre Urteile Namen tragen. Åkerberg Fransson zum Beispiel ist eigentlich nur ein schwedischer Flussfischer. Sein Fall steht aber auch für den Expansionsdrang des Luxemburger Gerichts. Karlsruher Richter bekommen Bluthochdruck, wenn sie den Namen des Fischers hören.

Viele Richter reden übrigens ganz gern über ihre Fälle, sogar mit Journalisten. Natürlich bleiben sie immer halb in der Deckung, weil sie nicht verraten dürfen, wie die Sache ausgeht. Aber sonst sind sie da nicht so anders als andere Menschen. Ein wenig Eitelkeit spielt auch hinein, manch einer leidet an dem Missverhältnis zwischen maximaler Bedeutung und minimaler Prominenz - wer könnte schon mehr als drei Verfassungsrichter aufzählen?

Zugleich aber ist, über die Jahrzehnte, ein Zuwachs an demokratischem Verständnis zu beobachten: dass Gerichte ihre komplexen Inhalte besser erklären müssen. Als Karlsruher Korrespondent hört man zu und nickt wissend, auch wenn man gerade vergessen hat, was die "acte-claire-Rechtsprechung" ist. Kann man ja hinterher nachschlagen.

© SZ vom 13.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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