Zu den Themen, die das Leben mir zugespült hat, gehören Tarifverhandlungen bei der Bahn. Keine Ahnung, womit ich mir das verdient habe, jedenfalls führt das Thema dazu, dass manche Kollegen mir eine bestimmte, geradezu sagenhafte Fähigkeit zuschreiben. Journalismus ist ja nicht zum geringsten Teil angewandte Kompetenzsimulation; ich selbst fand jegliches Zutrauen in meine Kollegen immer nur im Fall desjenigen hier angemessen, der ein echter Dr. med. ist (und zudem bekannt aus Funk und Fernsehen). Ihm stellen auch die sonst skeptischsten Reporter gern ihr Knie und ihren Magen vor; auch wegen Rezepten wurde unser Doktor schon angefragt.
Ich aber bin bloß eine Art Weselsky-Follower - was allerdings bei jedem Bahnstreik reicht, dass Kollegen anrufen und die immer selbe Frage stellen. Nur die Ortsnamen wechseln. "Du, mein Chef muss morgen um 14.21 Uhr von Paderborn nach Hannover - fährt denn der Zug?" - "Wir wollen zu den Schwiegereltern ins Ruhrgebiet. Sollen wir die Tickets eher kaufen oder eher nicht?" - Oder, diese Woche: "Am Mittwoch muss ich nach Holland, 750 Kilometer. Was macht man denn da?"
Dieser Kollege stellte die Frage, noch bevor der Streik ausgerufen war. Er traute mir also wirklich etwas zu. Schließen kann man daraus jedoch nur, dass er nicht im Dienst gewesen sein konnte an jenem Tag, als ich in der Redaktionskonferenz allgemein das Wochenende und die Ausflüge sicherstellen sollte. Ich sprach: "Am Wochenende hat noch keine Gewerkschaft gestreikt. Niemals. Nicht einmal unsere Drucker. Gestreikt wird zwischen Montag und Freitag, aber nicht am Wochenende, wenn's die Zuschläge gibt." Noch am selben Tag verkündete Weselsky einen Streik über das anstehende Wochenende.