Pflege:Nachts allein - auch im Heim

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Der Artikel "Das Geld genommen, bei den Pflegern gespart" über die Unterschreitung des Personalschlüssels in Pflegeheimen hat Leserinnen und Leser angeregt, uns ihre eigenen Probleme mit Heimen zu schildern.

Zuwendung kostet Zeit - genau diese haben die Pflegekräfte in Altenheimen meist nicht. (Foto: dpa)

"Das Geld genommen, bei den Pflegern gespart" vom 7. März:

Pastorales Gesäusel der Politiker

Wie unbefriedigend die Situation in Pflegeheimen ist, erlebe ich (75 Jahre alt) tagtäglich. Sieben Jahre war meine Schwiegermutter in einem Heim, fünf Jahre lang meine Mutter, die ich täglich, also über 1500 Mal, besuchte. Und nunmehr besuche ich meine Frau seit zwei Jahren ebenfalls täglich im Heim zu den unterschiedlichsten Tageszeiten.

Grund für einen Heimaufenthalt ist insbesondere die Sorge von Angehörigen, dass der Pflegebedürftige zu Hause nicht regelmäßig die Medikamente einnimmt und vor allem nachts allein und bei Toilettengängen sturzgefährdet ist. Und eben genau diese Sorgen werden nicht von den Pflegebedürftigen genommen. Ob und wann Tabletten eingenommen werden, wird keinesfalls "beäugt", vielmehr wird nur die Tablettenausgabe dokumentiert. Und nachts sind in allen mir bekannten Heimen nie mehr als zwei bis drei MitarbeiterInnen anwesend. In aller Regel kommen nachts 40 bis 50 BewohnerInnen auf eine Pflegekraft. Und oft ist nachts auch nur eine einzige Fachkraft anwesend.

Es macht mich wütend, wenn ich das pastorale Gesäusel unserer Berufspolitiker höre, die da salbungsvoll tönen: "Eine humane Gesellschaft erkennt man daran, wie sie sich gegenüber ihren Alten und Ärmsten zeigt." Deshalb sage ich als Pfälzer: "Nett höre, wass sie saage, sondern gugge, wass se dunn!" Wolfgang Schneider, Altrip

Warum mauern die Behörden?

Wie in dem Artikel "Das Geld genommen, bei den Pflegern gespart" zum Ausdruck kommt, ist nicht nur das Verhalten mancher Heimträger potenziell gefährlich für die ihnen anvertrauten, pflegebedürftigen Menschen, sondern vor allem das Verhalten der Aufsichtsbehörden. Die achtprozentige Unterschreitung des Personalschlüssels ist immerhin vom Bundessozialgericht (unverständlicherweise!) abgesegnet. Krasser ist es, dass in Baden-Württemberg im Heim meiner Mutter (und vermutlich nicht nur dort) seit Mai 2016 vorsätzlich und offen zehn Monate lang gegen die Nachtdienstregelung in der Landespersonalverordnung verstoßen wurde, ohne dass die Heimaufsicht eingeschritten ist. Mittlerweile wurde von der Heimaufsicht eine absurde Ausnahmeregelung genehmigt, nämlich dass nachts statt zwei Pflegekräften lediglich während zwei Stunden 45 Minuten zwei Kräfte anwesend sein müssen. Zudem hat mir die Heimaufsicht monatelang die Auskunft verweigert, ob eine Ausnahme überhaupt genehmigt wurde.

Warum mauern die Behörden und kommen ihrer Aufsichtspflicht nicht nach? Warum unterstützen sie sogar gefährliche Methoden der Kostenersparnis, die offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers widersprechen? Prof. Volker Aurich, Schwäbisch Hall

Unterschreitung bis zu 20 Prozent

Es macht fassungslos zu sehen, in welchem Maße die Politik die vor allem in der stationären Altenpflege bekannte, unzureichend bis mangelhafte personelle Situation ignoriert. Das in vielen Einrichtungen praktizierte Jonglieren mit den Pflegekräften und Arbeitsstunden ist nur schwer nachvollziehbar und überprüfbar. Der gesetzlich vorgeschriebene Pflegeschlüssel wird nach unserer Kenntnis oft erheblich weiter unterschritten als um acht Prozent. Einrichtungsleiter sprechen hinter vorgehaltener Hand von bis zu 20 Prozent - erst wenn diese Grenze nicht eingehalten werde, seien Sanktionen zu befürchten.

Um dem politisch geforderten Nachweis der Abgleichung zwischen Anzahl der Bewohner mit Pflegegraden und Pflegekräften nachzukommen, gleichzeitig aber auch Fehlzeiten besser auffangen zu können, werden häufig nur noch Teilzeitkräfte beschäftigt. Diese sind dann gezwungen mit einem Zweitjob ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Hausinterne Angelegenheiten lassen sich durch die Heimmitwirkungsverordnung von einem engagierten Heimbeirat mit Geduld und Ausdauer hinreichend regeln. Die politischen Vorgaben, die zur ständigen Überlastung der Pflegekräfte führen, die überzogenen Forderungen der Dokumentationspflicht, die uns zu Verwaltungseinheiten macht, bestimmen immer mehr unsere Lebensqualität im Alter. Maria Krieger, 1. Vorsitzende des Heimbeirats Ev. Altenzentrum Westerstede GmbH

Personalschlüssel veröffentlichen

Die Kassen machen es sich sehr einfach. Ihre Begründung, auf Klagen zu verzichten, weil sie wenig Aussicht auf Erfolg haben und die Unterschreitung des Personalschlüssels bis zu acht Prozent vom Bundessozialgericht als hinnehmbar bezeichnet wurden, trägt nicht. Wir vermuten vielmehr, dass die Untätigkeit der Kassen auch damit zusammenhängt, dass sie eine Kürzung des Heimentgeltes an die Betroffenen weiterreichen müssen und selber nur wenig von einem erfolgreichen Verfahren profitieren (§ 115, Abs. 3 SGB XI). Das Urteil des Bundessozialgerichtes erlaubt eine Minderung des Heimentgeltes auch bei Personalunterschreitungen von weniger als acht Prozent, nämlich dann, wenn zum Beispiel die Unterschreitung von Seiten des Heimes "planmäßig und zielgerichtet" erfolgt.

Und wenn die Kassen nicht wollen? Auch ein einzelner Bewohner kann - von Gesetzes wegen - selbst das Heimentgelt mindern. Um hier anzusetzen, müsste der Heimbewohner allerdings die vereinbarte und die tatsächliche Personalausstattung seines Heimes kennen. Diese wird ihm und der gesamten Öffentlichkeit vorenthalten. Dabei wäre es ein Leichtes, diese für sich genommen wichtigste Kennzahl zur Pflegequalität zu ermitteln und offen auszuweisen. Dies wäre endlich ein Beitrag zu einer wirklichen Transparenz und Verbraucherfreundlichkeit im Pflegesektor. Die Verbraucher, die bislang für schlechte Pflege volles Geld bezahlen, bekämen damit einen eigenen wirksamen Hebel zur Verbesserung ihrer Lage in die Hand. Dr. Manfred Stegger, Vorstandsvorsitzender BIVA e.V., Bonn

Pflege braucht einfach mehr Zeit

Ich habe beruflich inzwischen genau 30 Jahre in der Altenpflege verbracht, in den vergangenen Jahren in leitender Funktion. Die Debatte über zu wenig Personal in den Heimen ist gerade jetzt, da im Zuge des Pflegestärkungsgesetzes II/III neue Rahmenvereinbarungen und Pflegeschlüssel mit den Kostenträgern verhandelt werden, kontraproduktiv, weil sich wunderbar argumentieren lässt: Was brauchen wir bessere Schlüssel, wenn die alten nicht eingehalten werden?

Fakt ist: Mangelnde pflegerische Versorgung als direkte Konsequenz betrügerischen Handelns von Leistungserbringern ist ein Randproblem, für das es mit Sicherheit eine schnelle Lösung gibt. Es lenkt jedoch ab von den eigentlichen Kernproblemen der Altenpflege. Diese lauten: Unzureichende Personalschlüssel und eine überbordende Bürokratie. Wiederholt erliegen wir dem Irrtum, wir müssten nur alles zählen, messen, wiegen und dies entsprechend dokumentieren und kontrollieren, dann wäre die Welt der Pflege schon in Ordnung.

Die Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen ist hochkomplex, schwierig, entzieht sich oft gängigen Erklärungsmustern und Theorien. Sie braucht einfach Zeit. Diese Zeit hatten wir noch nie. Und nun steht zu befürchten, dass unsere Hoffnung auf mehr Zeit für die Versorgung unserer Alten in der Bugwelle dieser Story absäuft. Peter Reil, Erlangen

© SZ vom 23.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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