Muslime und der Terror:Gefordert wird Solidarität

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Erst kürzlich zeigten Muslime mit einem Friedensmarsch in Köln, wie schockiert sie über islamistische Anschläge sind. Manchen Lesern geht diese Distanzierung nicht weit genug. Sie fragen, auf welcher Seite der Islamverband Ditib steht.

"Für einen anderen Islam" vom 17./18. Juni, "Zeichen gegen Terror" vom 14./15. Juni, "Terroristen sind keine Muslime" und "Muslime - Von Fremden zu Freunden" vom 10./11. Juni:

Wie wär's mit Vernunft?

Der grundlegende Irrtum von Lamya Kaddor besteht darin, dass sie im SZ-Interview bestimmten Gruppen, hier den Dschihadisten, abspricht, Muslime zu sein. Gleichzeitig sagt sie: "Also sollte sich kein Muslim dazu aufschwingen, den Glauben des anderen zu beurteilen oder abzuerkennen."

Das damit verbundene, unlösbare Paradoxon besteht darin, dass bei allen drei Religionen - Islam, Judentum, Christentum - Grundlage ein Buch ist, das angeblich Gottes Wort beinhaltet. Dieses Buch wurde jedoch schon immer interpretiert, um daraus jeweils Macht und Herrschaft über andere abzuleiten. Solange es diese Religionen gibt, haben diese immer auch versucht, mit Gewalt Herrschaft zu erringen oder zu behalten. In der Geschichte der drei Religionen finden sich dafür genügend Beispiele. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma erscheint mir die Abkehr von jedem Glauben zu sein - und an deren Stelle die Vernunft zu setzen.

Roland Holzheimer, Fürth

Sich der Gewaltfrage stellen

Die Argumentation von Lamya Kaddor geht am Kern des Problems vorbei. Nicht nur dass die Behauptung "Terroristen sind keine Muslime" schlichtweg falsch ist, es geht im Grunde bei den Attentaten auch nicht um Terroristen contra Muslime, sondern um die gewaltimmanente Religion Islam und das Aufgreifen der Gewalt des Religionsstifters als Vorbild. Völlig unwidersprochen können sich die Schergen des IS und anderer Terrorgruppen auf den Propheten berufen, der bei Todesstrafe nicht kritisiert werden darf. Mit Wohlwollen wird in wahabitischen und salafistischen Kreisen deshalb der Terror gegen "Ungläubige" wahrgenommen. Und der Versuch, einen friedlichen, weichgespülten Islam zu propagieren, wird dort als das Werk von Ungläubigen (die sich jedoch als Muslime bezeichnen) betrachtet, da der Koran nicht verhandelbar ist. Solange sich die Muslime nicht dem Thema Gewalt in ihrer Religion stellen, wird sich wenig ändern. Und solange unsere Kirchen dazu schweigen, auch nicht.

Dr. Peter Macher, Starnberg

Dagegen sein - auch im Stillen

Ohne jeglichen Zweifel: Alle Muslime sollten sich bei jeder Gelegenheit gegen den radikalen Islamismus ausdrücklich bekennen. Gegen diesen perfiden Terrorismus zusammen zu demonstrieren, ist gewiss sinnvoll und nützlich. Aber muss man unbedingt an solchen Aktionen teilnehmen, um sich die Gunst und das Lob der Allgemeinheit zu sichern? Kann man denn im Stillen und ohne den "öffentlichen Druck und Zwang" nicht auch signifikant dagegen sein?

Dass die oftmals kritisierte Ditib zuletzt Seriosität und vor allem Glaubwürdigkeit aufgrund zwielichtiger Verbindungen zum Staatsapparat des türkischen Präsidenten Erdoğan hierzulande zu Recht eingebüßt und jetzt wieder mit einem Fernbleiben der Demonstration in Köln einen großen Fehler begangen hat, steht außer Frage. Aber, Ditib hin oder her, viel wichtiger und wünschenswerter wäre diese Tatsache: Das Gefühl und die Feststellung der deutschen Gesellschaft im alltäglichen Leben, dass ihr "vertrauter Muslim" von nebenan nach Anschlägen islamistischer Extremisten eine unübersehbare Solidarität sowie eine aufrichtige Anteilnahme mit den Opfern nach außen entfaltet.

Überdies muss man immer wieder betonen: Es fallen tagtäglich viel mehr "ungläubige Muslime" in Ländern wie Syrien, dem Irak und im ganzen Nahen Osten dem islamistischen Terror zum Opfer als "Ungläubige" in den westlichen Staaten. Dies soll nicht als Trost dienen, aber hin und wieder sollte man auch daran erinnern. Man hat ohne Wenn und Aber den gleichen Feind.

Ayhan Matkap, Donauwörth

Auf wessen Seite steht Ditib?

Matthias Drobinski tadelt in "Für einen anderen Islam" die Reaktion der Ditib, spricht von "Erstarrung und Selbstisolation". Gestatten Sie mir zwei kleine Ergänzungen dazu in Form eines doppelten Rollenspiels:

1. Wäre ich ein friedfertiger und gläubiger Muslim, der natürlich, wie die allermeisten Muslime, auch mit Empathie und Menschenfreundlichkeit begabt ist, dann wäre ich nicht nur im Innersten entsetzt über die grauenhaften Terroranschläge, ich verspürte gleichzeitig Empörung und Wut darüber, dass sich die Massenmörder und ihre Hintermänner auf meine Religion und meine heiligen Bücher berufen. Die Teilnahme an einer Großkundgebung unter dem Motto "Nicht mit uns" wäre für mich eine zwingende und bereitwilligst erfüllte Verpflichtung. Die Nichtteilnahme des Ditib-Verbandes (seine Begründungen sind fadenscheinig und absurd!) lassen darauf schließen, dass sein Entsetzen über die Anschläge nicht sonderlich groß sein kann und dass seltsamerweise (wie ist das nur zu erklären?) Wut und Zorn über den "Missbrauch" bestimmter Koransuren bei ihm nicht vorhanden sind.

2. Wäre ich radikaler Islamist und Mitglied des sogenannten Islamischen Staates, dann empfände ich Freude und Genugtuung darüber, dass sich der größte Islamverband in Deutschland weigert, an der Kundgebung teilzunehmen. "Der Verband Ditib", so dächte ich, "samt den vielen von ihm vertretenen Muslimen ist heimlich auf unserer Seite! Er versteht unser Anliegen, will uns nicht durch die Teilnahme an einer IS- und islamfeindlichen Großveranstaltung öffentlichkeitswirksam verurteilen und verdammen. Seine Koraninterpretation ist der unseren nahe. Dass er unsere Taten mit Worten in den Moscheen bei Freitagsgebeten verurteilt, spricht nicht dagegen. In der Diaspora muss man eben gewisse Kompromisse schließen, muss man bisweilen sagen, was Öffentlichkeit und Medien von einem erwarten. Jetzt aber hat der große Islamverband ein deutliches und mutiges Zeichen gesetzt, uns Glaubenskämpfern gegen die ungläubigen Gottesfeinde eine aufmunternde, nur leicht verschlüsselte Botschaft geschickt! Danke, Ditib!"

Wolfgang Illauer, Neusäß

... allein, mir fehlt der Glaube

Dunja Ramadan schreibt in "Muslime - Von Fremden zu Freunden": "In diesem Ruf (nach Distanzierung von Terroranschlägen) schwingt nämlich der Vorwurf mit, muslimische Bürger sympathisierten insgeheim mit Terroristen." Ich frage: Und wenn es so wäre? Für die Autorin scheint das undenkbar zu sein. Aber ich erinnere nur an die Zeit der RAF. So grausam auch die Strategie und die Verbrechen dieser Überzeugungstäter waren, so konnten sie doch erwiesenermaßen auf ein gehöriges Potenzial an Sympathisanten in der Gesellschaft zählen. Der islamistische Terror firmiert dezidiert und ausnahmslos im Namen Allahs. Es fällt mir sehr schwer, davon auszugehen, dass es in der muslimischen Welt, so friedlich sie sich ansonsten gibt, dafür insgeheim keine Sympathisanten geben sollte, auch bei uns in Deutschland.

Wolfgang Miller, Kernen

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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