Leben in der Moderne:Zukunft bleibt wichtig

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Bernd Graff diagnostizierte, wie die Moderne den Glauben an die Zukunft verloren hat. Aber ist die Moderne damit wirklich schon gescheitert? Oder ist es nur das Ende einer naiven Fortschrittsgläubigkeit?

"Für immer jetzt" vom 22./23. August:

Bernd Graff kann man nur zustimmen, wenn er feststellt, dass uns die früher gefeierte Zukunft abhandengekommen sei. Keine Frage, der Lack ist ab, die Strahlkraft dahin. Das Grundprinzip der Moderne ist einem tiefen Zweifel gewichen. Nicht zuletzt auch in Film und Literatur wurde die fortschrittsgläubige Science-Fiction abgelöst von einem scheinbar zeitfreien Fantasy-Genre und dessen bedrohlich wirkenden Bildern.

Spätestens nachdem fast alle totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts sich der Strahlkraft der Zukunft bedienten und damit ihre menschenverachtende Politik zu rechtfertigen versuchten, sind gesellschaftliche Zukunftsvisionen zu Recht in Misskredit geraten. Da erscheint es nur konsequent, dass eine demokratische und pluralistische Bürgergesellschaft lieber auf zeitnahe, konkrete, revidierbare und durch Wahlen legitimierte Zukunftsprojekte setzt.

Aber ist die Moderne damit wirklich schon gescheitert? Oder ist es nur das Ende einer naiven Fortschrittsgläubigkeit? Die Probleme, welche die Moderne geschaffen hat, scheinen ohne sie nicht mehr lösbar zu sein. Die Notwendigkeit eines Immer-Besser bleibt somit fürs Erste bestehen. Das Besser muss aber immer wieder hinterfragt und neu definiert werden. Im Sinne einer kritischen und demokratischen Moderne, die ihre Zukunftsbilder in einem umfänglichen gesellschaftlichen Diskurs stets weiterentwickelt. Die hierfür erforderliche Fähigkeit, sich immer wieder neu zu erfinden, scheint der Moderne aber durchaus innezuwohnen. Und damit möchte man sich dem Appell von Jürgen Habermas (1980), das unvollendetes Projekt Moderne noch nicht verloren zu geben, weiterhin anschließen.

Gerade die globalen gesellschaftlichen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verlangen mehr denn je nach langfristigen, übergreifenden und dennoch konsensbasierenden Zukunftskonzepten. Diesen Widerspruch gilt es aufzulösen.

Die angesprochene Qualität von Zukunftsprognosen ist dabei eher der menschlichen Natur und deren Unzulänglichkeit, Zukunft denken zu können, geschuldet. Aber das hatte ja auch bereits der große Münchner Philosoph Karl Valentin treffend erkannt: "Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen."

Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen.

Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen.

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© SZ vom 31.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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