Kachelmann-Prozess:Beunruhigende Justiz

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Der Wettermoderator Jörg Kachelmann ist nach seinem Erfolg im Zivilprozess rehabilitiert. Nach Meinung eines Rechtsmediziners war der ganze Prozess ein Beispiel dafür, wie sehr man vor Gericht in der Hand von Juristen und Sachverständigen ist.

Die Süddeutsche Zeitung hat in "Kein Ende einer Affäre" vom 4. Oktober das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt (AZ: 18 U 5/14) im Zivilverfahren von Jörg Kachelmann gegen seine Ex-Freundin kommentiert. Claudia D. hatte den Wettermoderator im März 2010 der Vergewaltigung bezichtigt. Der Inhalt des Strafverfahrens wurde von der SZ allerdings unvollständig wiedergegeben.

Im Strafverfahren vor dem Landgericht Mannheim habe ich mich als Rechtsmediziner eindeutig dahin gehend geäußert, dass die Verletzungen der Zeugin geradezu lehrbuchmäßig als selbst beigebracht zu bezeichnen sind. Das spurenkundliche Gutachten des Landeskriminalamtes hatte in der Verhandlung null Anhaltspunkte dafür geliefert, dass Kachelmann das Messer an die Kehle der Frau gehalten hatte. Das Urteil des OLG Frankfurt lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Das Gericht formuliert es folgendermaßen: "...Der Senat ist insoweit nicht...an die Tatsachenfeststellung des Landgerichts gebunden, weil konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen.... Aus den Gesamtumständen ergibt sich, dass die Beklagte die Ermittlungsbehörden bewusst und gewollt über die Täterschaft des Klägers getäuscht hat, indem sie wahrheitswidrig aussagte und der besonders schweren Vergewaltigung unter Einsatz eines Messers bezichtigte und...zur Bekräftigung...sich selbst verletzte..."

Zurück bleiben viele Fragezeichen bezüglich Polizei, Staatsanwaltschaft und Begutachtung durch die verschiedenen Sachverständigen. Das Gericht in Frankfurt hat in dem von Kachelmann angestrengten Zivilverfahren diametral entgegengesetzte Feststellungen getroffen wie zuvor Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft. Und zwar basierend auf denselben Fakten. Es gibt keinerlei neue Untersuchungsergebnisse. Man kann der SZ nur beipflichten: Vor Gericht ist der Mensch definitiv nur in der Hand der Juristen und Sachverständigen. Das Landgericht Mannheim hatte sein Urteil - "Freispruch, in dubio pro reo" - nach neun Monaten am 44. Verhandlungstag gesprochen und ein 244 Seiten langes Urteil abgesetzt. Das Oberlandesgericht Frankfurt stellt die Zeugin auf 33 Seiten als kriminelle Lügnerin dar. Zwei Welten vor unseren obersten Gerichten. Eine beunruhigende Vorstellung, wie ich finde. Prof. Klaus Püschel, Inst. f. Rechtsmedizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendf.

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© SZ vom 10.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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