Jamaika-Aus:Berliner Gemengelage

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Hat sich die FDP disqualifiziert, weil sie die Sondierungen platzen ließ? Soll die SPD Koalitionsgespräche mit der Union beginnen? Fragen über Fragen - über die Leserinnen und Leser hier mit Verve debattieren.

SZ-Zeichnunge: Michael Holtschulte (Foto: Michael Holtschulte)

"Minderheitsregierung - Warum nicht?" und "Schuld sind auch die anderen" vom 22. November, "Der Spielverderber", "Jamaika, Wiedervorlage" und "Regierung wagen" vom 21. November sowie "Das Risiko des Scheiterns" vom 20. November:

Themen offenlassen

In der gegenwärtigen Diskussion um eine stabile Regierung nach den Wahlen wird eine vierte mögliche Option, soweit ersichtlich, bisher nicht diskutiert, und zwar eine Jamaika-Koalition, die bisher strittige Themen unter den Koalitionären offenlässt und die weitere Entwicklung abwartet. Wollen tatsächlich mehr als 200 000 Flüchtlinge zu uns kommen, wenn die Entwicklungshilfe endlich sinnvoll und kontrolliert eingesetzt wird? Könnte es nicht sein, dass wirtschaftliche Gründe für einen wirksameren Klimaschutz sorgen, die den Bau protziger Autos mit Verbrennungsmotoren ersetzen durch vernünftige Fahrzeuge und den Ausbau des Schienenverkehrs? Das unsinnige Streben nach mehr Wachstum und die vermeintliche Sicherung der Arbeitsplätze würde gegenstandslos, wenn durch andere Energieformen ganz neue Tätigkeitsfelder erschlossen würden und Beihilfen dorthin gelangen, wo sie zunächst noch gebraucht werden. Die Landwirtschaft könnte endlich ihre Überproduktion zurückfahren, den hirnrissigen Maisanbau stoppen und die ausgelaugten Böden besser schützen. Es hat sich doch gezeigt, dass die gebetsmühlenartigen Wiederholungen überholter Positionen, insbesondere durch die CSU, in die Irre führen. Dr. Walther von Diest, Seevetal

Tägliche Diffamierungen

Ich finde es sehr gut, dass Christian Lindner diesem Sondierungstrauerspiel ein Ende bereitet hat. Die acht Wochen seit der Wahl waren nahezu unerträglich: Zunächst war es nicht richtig, dass CDU und CSU gleich zu Beginn ein Sondergrüppchen bildeten. Auch diese Gespräche hätten in das Viererbündnis gehört. Dann war es unerträglich, wie einzelne Personen ihre Beschimpfungen der potenziellen Partner und Partnerinnen über die Medien verbreiteten. Nahezu täglich wurden Diffamierungen über die anderen Sondierungsteilnehmer über die Bildschirme losgelassen, und man fragte sich, ob diese Verhandlungspartner vom rechten und linken Eck je eine rücksichtsvolle gepflegte Sprache gelernt haben. Dass gerade diese Leute nach dem Ende der Sondierung nun so tun, als wären sie miteinander immer Vertraute und Freunde gewesen, ist zum Gänsehautkriegen. Dr. Gisela Forster, Berg

Nicht wieder zu Lasten der SPD

Selten genug, dass ich mit Marc Beise übereinstimme! Aber die Argumente, die im Leitartikel "Warum nicht?" für die Chancen einer Minderheitsregierung angeführt werden, klingen überzeugend. Man sollte eine solche Alternative einfach mal ausprobieren. Stattdessen wird erneut von allen Seiten massiver Druck auf die SPD aufgebaut, damit man nachher wieder zu deren Lasten an der großen Koalition herummäkeln kann und die Ränder weiter ausfransen. Braucht unser Land diese Wiederholung mit allen Problemen für unsere Demokratie wirklich? Oder ist es nicht auch das Recht und die Pflicht von Martin Schulz, "Schaden von seiner Partei abzuwenden", wie Mike Szymanski es in seinem Kommentar für die FDP formuliert? Ursula Straka, Oettingen

Ohne Bedauern

Dass die FDP nicht mitregieren will, muss man nicht bedauern. Die Partei der Besserverdienenden hätte sicher nichts zur Lösung unseres größten volkswirtschaftlichen Problems beitragen können, der sich immer weiter öffnenden Schere bei den Einkommen und beim Vermögen. Und dann wollte man Christian Lindner auch noch das Finanzministerium anvertrauen! Eine Horrorvorstellung! Alfred Meier, Hohenpeißenberg

Große Koalition für zwei Jahre

Vielleicht war es besser, dass die Jamaika-Gespräche gescheitert sind. Unabhängig von den strittigen Sachfragen fehlte es an dem Vertrauen und der Bereitschaft, miteinander Politik zu gestalten. Diesem Anfang wohnte kein Zauber inne. Da weder Neuwahlen noch Minderheitsregierung überzeugen, könnte man eine auf zwei Jahre befristete große Koalition (Neuwahlen im Frühjahr 2020) in Betracht ziehen. Zeit genug, um wichtige Vorhaben zu realisieren; Zeit aber auch, um bei allen drei Partnern die anstehenden Führungsentscheidungen ohne Zeitdruck vorbereiten und treffen zu können. Und für die SPD viel erträglicher als eine unter Druck zustande gekommene Koalition für die ganze Legislaturperiode. Dr. Christian Stubbe, Wiesloch

Endlich Debattenkultur

Die Entscheidung der FDP die Sondierungsgespräche zu beenden, eröffnet wahrlich eine große Chance für unsere Demokratie. Erinnert sei an die Worte des ausgeschiedenen Bundestagspräsidenten "hier im deutschen Bundestag schlägt das Herz der Demokratie". Eine Minderheitsregierung könnte Gesetzesvorlagen einbringen und wir könnten endlich eine Aufwertung unseres Parlamentes und ein Aufleben der Debattenkultur erleben. Dr. Christoph Schay, Herten

Höchststrafe für die FDP

1982 hatte Bundeskanzler Helmut Schmidt in seiner Rede zum konstruktiven Misstrauensvotum gesagt: "Wer den Kompromiss nicht kann, der taugt nicht für die Demokratie." Das bezog sich auf die FDP, die seine SPD/FDP-Koalition verlassen und sich der CDU an die Brust geworfen hatte; dieses Manöver hatte uns 16 Kohl-Jahre beschert. Und jetzt war es bei den Jamaika-Sondierungen wieder die FDP, die nicht bereit war, einen Kompromiss einzugehen, und damit die mögliche neue Regierungskoalition platzen ließ. Hinzu kommt, dass die FDP in Niedersachsen jüngst ebenfalls eine Koalition platzen ließ, indem sie erklärte, keinesfalls mit SPD und Grünen regieren zu wollen. Das führte dann schnell zu einer großen Koalition in Hannover, die eigentlich niemand wollte.

Es ist ein Skandal für sich, von vorneherein zu erklären, mit einer demokratischen Partei nicht koalieren zu wollen. Was bildet sich die FDP eigentlich ein? Hoffentlich bedanken sich die Wähler bei nächster Gelegenheit mit der Höchststrafe: der Abwahl aus den Parlamenten. Dr. Wolfgang Wetzel, Nürtingen

Zur Not ohne die Bayern

Wieso kommt keiner mit Schwarz-Rot-Grün - einer großen Koalition der Mitte, ohne die Extremisten von rechts, links und oben -, zur Not auch ohne die Bayern? Eckhard Holzmann, Hirschberg

Verantwortung als Opposition

Im Artikel "Die Stunde des Präsidenten" vom 21. November findet sich im Rahmen des erläuterten Artikels 63 des Grundgesetzes ein in diesen Tagen häufig zu lesender Fehler. Wolfgang Janisch schreibt: "Binnen vierzehn Tagen kann das Parlament einen neuen Versuch starten." Wenn auf Vorschlag des Bundespräsidenten der Kanzler-Kandidat keine absolute Mehrheit erzielt, dann können innert der 14-Tage-Frist mehrere Versuche einer Kanzlerwahl auch aus der Mitte des Bundestages erfolgen oder eben auch gar keiner, ehe dann später, bei erneutem Scheitern an der Kanzlermehrheit, ein Kanzler mit nur relativer Mehrheit gewählt wird.

Die weiters von Bundespräsident Steinmeier und auch Heribert Prantl angesprochene "Verantwortung" kann sich im Übrigen nur an der grundgesetzlichen Aufgabe der Parteien festmachen lassen. Ein Blick in die Verfassung hilft weiter: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit." Diesem Auftrag aus Artikel 21 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, der das politische Mitwirken der Parteien allein legitimiert, können diese verantwortungsvoll auch und gerade in der Opposition nachkommen, wofür zum Beispiel Sahra Wagenknecht, die sich seit Jahren vorbildlich für die Wiederherstellung des Sozialstaats einsetzt, ein wahrhaft leuchtendes Beispiel ist.

Vom "Gemeinwohl", von dem Steinmeier spricht, auch und gerade mit Blick auf die SPD, die ihre Rolle nach der Wahlschlappe derzeit nur in der Opposition sieht, findet sich nichts im Grundgesetz. Manfred K. Veits, Regensburg

© SZ vom 25.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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